Arbeit der Zuspitzung Maler Johannes Grützke gestorben
Berlin (dpa) - Er war ein Freund der visuellen Zuspitzung: Verzerrte Gesichter, riesige Ohren, Grimassen - mit seinen Gemälden hat Johannes Grützke die Deutschen bis ins Groteske verfremdet und ihnen zugleich den Spiegel vorgehalten.
„Malen ist Denken“, lautete sein Prinzip.
Der aus Berlin stammende Maler, Zeichner und Bühnenbildner, der sich in Selbstporträts überspitzt mit mächtiger Nase auch selber nicht verschonte, ist tot. Grützke starb am Mittwoch im Alter von 79 Jahren nach schwerer Krankheit in Berlin, wie die Leipziger Galerie Schwind mitteilte.
Einer größeren Öffentlichkeit wurde der am 30. September 1937 geborene Grützke mit seinem monumentalen „Zug der Volksvertreter“ in der Frankfurter Paulskirche bekannt. Das 32 Meter lange Rundbild zeigt 160 Herren ganz in schwarz. Die Auftraggeber wünschten sich, „in angemessener Weise die Ideen und das Ereignis des Vormärz und der 1848er Revolution künstlerisch zu erfassen“ - sie bekamen 1991 einen „endlosen Umzug trauriger Gestalten“, wie ein Kritiker formulierte.
Grützke wollte die Verhältnisse aufdecken, die Besonderheiten von Menschen darstellen, freilich mit viel Witz. Wie Teig dehnen sie sich über die Gemälde, Gestalten im barocken Exzess, wohl auch als Parabel auf die Verlockungen von Konsum und Wohlstand. Dabei bezog er sich immer wieder auch auf klassische Motive. Seine ausufernden Tableaus greifen auch die Formstrenge historischer Malerschulen auf.
Den Maler interessierte die Darstellung sich wandelnder Menschengestalten, wie es etwa in seinen Buntstiftzeichnungen und Pastellen von magersüchtigen Frauen sichtbar wird. Unverkennbar ist der Einfluss Oskar Kokoschkas, dessen Schüler er 1962 war, aber auch die Nähe etwa zu Egon Schiele, Lucian Freud oder Francis Bacon.
Angesichts dieser überbordenden Fantasie ist es nicht verwunderlich, dass Grützke schon in der Schule Trickfilmzeichner werden wollte. Zur Finanzierung des Studiums arbeitete er abends als Kulissenschieber im Theater. Später zeichnete er für eine Berliner Satire-Zeitschrift. Zur gleichen Zeit gründete Grützke „Die Erlebnisgeiger“, mit denen er öffentlich Musik machte.
„Schule der neuen Prächtigkeit“ nannte sich die Künstlergruppe, die der Maler 1973 unter anderem mit seinem Kollegen Matthias Koeppel ins Leben rief. Mit ihren Werken in Form gestellter „lebender Bilder“ reiste die Gruppe mit großem Erfolg durch die Bundesrepublik.
Im Semester 1976/1977 lehrte Grützke als Gastdozent an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg. 1987 kehrte er, diesmal als Dozent in Nachfolge seines einstigen Lehrers Kokoschka, an die Internationale Sommerakademie für Bildende Künste Salzburg zurück. 1992 wurde er Professor für Malerei an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg.
1979 begann er als Bühnenbildner eine langjährige Zusammenarbeit mit dem Theaterregisseur Peter Zadek. Von 1985 bis 1988 war Grützke Zadeks Künstlerischer Berater am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Unter anderem inszenierten sie die Urfassung der „Lulu“ von Frank Wedekind.
Große Aufmerksamkeit fand 1979 eine Ausstellung in der Darmstädter Kunsthalle. Die Neue Nationalgalerie in Berlin dokumentierte 1985 seine wachsende künstlerische Reputation. 1989 wurden in Hamburg neben Malerei, Grafik und Plastik auch Grützkes „Arbeiten für das Theater“ ausgestellt.
Zu seinen letzten großen Werken zählt das dreiteilige Majolika-Relief „Morgen brechen wir auf“ an der Fassade des Konstanzer Bürgersaales zur Erinnerung an Friedrich Hecker und die Badische Revolution von 1848/49. 2006 widmete sich eine Retrospektive Johannes Grützkes Arbeiten in den neuen Bundesländern. „Jena und Auerstedt-Projekt 1806/2006“ - auch hier zog Grützke mit viel Lust gegen die Säulenheiligen in der deutschen Geschichte.