Miranda July gibt Einblicke in E-Mails von Stars
Stockholm/New York (dpa) - Kirsten Dunst träumte einst von einem Hotel, einer Schulabschlussfeier und einer Schlägerei zwischen zwei Jungs - alles wild durcheinander.
An einem Mittwoch im Juni 2010 um 4.52 Uhr berichtete die US-Schauspielerin einer gewissen „s“ davon per E-Mail. Lena Dunham quälte im Schlaf nach einer durchgearbeiteten Nacht ein Alptraum, in dem sie ihre eigene Mutter umbrachte. Danach verbrachte die Schauspielerin den Rest des Tages mit Freunden im US-Bundesstaat Connecticut, von wo aus sie um exakt 20.08 Uhr einem Bekannten namens Mike per E-Mail von dem Traum erzählte. „Ich vermisse dich schrecklich“, schrieb Dunham und beendete die E-Mail mit den Worten „hab dich lieb“.
In Zeiten von heiß diskutierten Überwachungs- und Bespitzelungsaffären rund um den US-Geheimdienst NSA läuten bei solch präzisen Online-Daten sofort alle Alarmglocken. Aber die Informationen stammen nicht etwa aus umstrittenen staatlichen Überwachungsprogrammen, sondern sind völlig legal mit Zustimmung der Absender veröffentlicht worden. Mehr noch: Die E-Mails sind Kunst, sagt Miranda July. Die 39-Jährige ist Schauspielerin, Regisseurin, Schriftstellerin und Künstlerin. In Deutschland wurde die Frau mit den Kulleraugen und den braunen Locken vor allem durch Filme wie „Die Zukunft“ und „Ich und du und alle, die wir kennen“, sowie den Kurzgeschichtenband „Zehn Wahrheiten“ bekannt.
Und jetzt also fremde E-Mails. „Ich habe schon immer versucht, meine Freunde zu überreden, dass sie mir E-Mails weiterleiten, die sie anderen Menschen geschickt haben - ihrer Mutter, ihrem Freund, ihrem Agenten, je alltäglicher, desto besser“, sagt July. „Wie sie sich darin verhalten, ist so intim, fast schon obszön - ein Einblick in diese Menschen aus ihrer eigenen Perspektive.“
Zehn mehr oder weniger bekannte Prominente haben schließlich eingewilligt, Julys Neugier zu befriedigen und bei dem Projekt „We Think Alone“ (Wir denken allein) mitzumachen. Neben Kirsten Dunst und Lena Dunham sind dies der frühere US-Profi-Basketballer Kareem Abdul-Jabbar, die kanadische Schriftstellerin Sheila Heti, der israelische Filmemacher Etgar Keret, die Designerinnen des Labels „Rodarte“, Kate and Laura Mulleavy, die US-Fotografin Catherine Opie, der Physiker Lee Smolin und der dänisch-vietnamesische Künstler Danh Vo. Sie alle haben July Auszüge aus E-Mails weitergeleitet, die sie in den vergangenen Jahren geschrieben haben. July hatte ihnen zuvor Themen vorgegeben - etwa Kunst, US-Präsident Barack Obama, Ratschläge, Träume, oder Mütter.
Unterstützt wird das Projekt von der Stockholmer Ausstellungshalle „Magasin 3“, aber zu lesen gibt es die E-Mails dort nicht. July hat nichts ausgedruckt, sondern verschickt immer montags insgesamt 20 Wochen lang nach Themen geordnete Zusammenstellungen der E-Mail-Auszüge an andere Neugierige, die sich auf der Webseite des Projekts angemeldet haben. Rund 100 000 Empfänger gebe es schon, sagt Projektsprecher Tyler Mahowald. Das Projekt geht noch bis Mitte November.
Die E-Mail-Empfänger konnten bislang unter anderem erfahren, dass die Rodarte-Designerinnen einem gewissen „V“ empfahlen, Whiskey Sour zu trinken und dass Lena Dunham einer gewissen „K“ einen Mann ausredete. „Er ist nicht nett. Er sagt nicht nette Dinge mit einer netten Stimme, so dass sie nett klingen, aber sie sind es nicht“, schreibt die Entwicklerin der Erfolgsserie „Girls“. „Er ist nichts für dich, weil er auch nichts für irgendjemanden anderen ist, verstehst du mich? Gut.“
Meist schreiben die Promis unterhaltsame Belanglosigkeiten und manchmal können sie zu einem Thema auch gar nichts beitragen. „Kirsten Dunst konnte keine E-Mail finden, in der sie Ratschläge erteilt“, heißt es dann etwa. Aber Künstlerin July sieht im Lesen der fremden E-Mails trotzdem einen tieferen Sinn. Die Dokumente gäben Aufschluss darüber, wie sich Privatsphäre und auch die Benutzung von E-Mails veränderten, sagt die im Nordosten der USA geborene Künstlerin. Außerdem seien es Selbstporträts. „Zum Guten oder zum Schlechten haben sie die Art und Weise verändert, wie ich diese Menschen wahrnehme. Ich glaube, ich kenne sie jetzt wirklich.“