„Spielfelder“ - Giacomettis unbekannte Seiten
Hamburg (dpa) - Seine extrem langen, schlanken Skulpturen machten ihn weltberühmt: Alberto Giacometti (1901-1966) gehört zu den bedeutendsten Künstlern des 20. Jahrhunderts.
Die Hamburger Kunsthalle will mit „Giacometti. Die Spielfelder“ bis zum 19. Mai einen neuen Blick auf das Werk des Schweizer Malers und Bildhauers werfen. „Erstmals werden die unbekannten surrealistischen Frühwerke präsentiert und ihre bislang unentdeckten Folgen für das berühmte Nachkriegswerk aufgezeigt“, sagte Kuratorin Annabelle Görgen-Lammers am Donnerstag in Hamburg. Die Schau verfolgt diese Idee von den Anfängen bis hin zu seinem Vermächtnis: die weltberühmten, bis zu drei Meter hohen Figuren, etwa der „Schreitende Mann“, 2010 mit 74 Millionen Euro das damals teuerste Kunstwerk der Welt.
„In den fragilen, an Brettspiele erinnernden Unikaten aus Holz und Marmor entwickelte Giacometti das bis in die heutige Kunst wirkende Konzept der "Skulptur als Platz"“, erläuterte die Kuratorin. Die Ausstellung nimmt den Besucher mit auf eine spannende Reise von den modellhaften Spielbrett-Skulpturen über das Atelier als Bühne bis hin zu den überlebensgroßen Figuren. Die Schau umfasst mehr als 200 Werke, darunter 40 Skulpturen, die zum Teil noch nie zu sehen waren, sowie Ölgemälde, Zeichnungen und Fotografien. Die Präsentation wird ergänzt durch Porträts, die im Bucerius-Kunstforum zu sehen sind - darunter Bildnisse seiner Eltern und Geschwister, die Porträts seiner Frau Annette und von Künstlern und Philosophen seines Pariser Freundeskreises um Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir.
Die Ausstellung beginnt mit Giacomettis ersten Skulpturen, die mit ihren kubistischen Formen an afrikanische Kunst erinnern. Daraus entwickelt der gebürtige Schweizer, der seit 1922 hauptsächlich in Paris lebte und arbeitete, seine „Spielplatzfiguren“, darunter „Familie“, eine Kleinskulptur von 1931. Sie zeigt symbolhaft eine Frau mit weit ausgebreiteten Armen, zwischen einem kugelförmigen Kind und dem wie ein Segel in den Himmel ragenden Mann. „Giacometti spielt mit der Positionierung der einzelnen Elemente auf der verbindenden Grundplatte - wie auf einem Spielfeld“, sagt Görgen-Lammers. „Der Mann dreht sich seltsamerweise immer um sich selbst, die Frau schützt das Kind, und das Kind läuft im Hintergrund hin und her.“
„Giacometti möchte die Komplexität des Lebens in seinen Skulpturen wiedergeben“, meint die Kuratorin. Eine wichtige Rolle spiele dabei auch sein Atelier in Paris, ein 18 Quadratmeter großes „Loch“, in dem der Künstler 40 Jahre lang arbeitete und das er auch nicht verließ, als er schon längst weltberühmt und steinreich war. Der Grund: In diesem Atelier, das in der Ausstellung dreidimensional nachempfunden wird, hat Giacometti immer wieder neue Figuren-Konstellationen in verschiedenen Maßstäben ausprobiert. Zahlreiche Elemente der surrealistischen Frühwerke tauchen in den Atelier-Skizzen wieder auf und verändern ihre Lage. Giacometti beschreibt seine Skulpturen selbst als „Projekte für große Dinge im Freien“, das heißt, er will damit eigentlich monumentale Plätze gestalten. „Tatsächlich träumt Giacometti fast 40 Jahre lang davon, eine große Skulpturengruppe für einen öffentlichen Platz zu schaffen, auf dem sich Kunst und Leben treffen“, sagt Görgen-Lammers. Leider ist es dazu in der Realität nie gekommen. Sein bedeutendster Auftrag im öffentlichen Raum - eine Figurengruppe für die Chase Manhattan Bank in New York - wurde nicht verwirklicht, weil der Künstler mit dem Ergebnis nicht zufrieden war. Seine weltberühmten Entwürfe sind jedoch in der Ausstellung zu sehen: Die „Große Stehende II“ (1960), „Großer Kopf“ (1960) und der „Schreitende Mann II“ (1960).