Licht! Vorhang! Applaus! Tanzen wie ein Profiballett
Tanzlehrer Jeremy Green schart junge Talente um sich. Die Premiere ist am kommenden Samstag.
Haan. „Stopp, stopp, stopp. Ihr seid alle vier Takte zu spät.“ Die letzten Worte zerschneiden die Stille, nachdem die Musik plötzlich aus ist. Jeremy Green schüttelt den Kopf, die Augen weit aufgerissen. „Gleich nochmal! Konzentration“, hält er sich nicht lange mit dem verpatzten Durchgang auf.
Die Tänzerinnen beißen sich auf die Lippen. Nach dem intensiven Training schmerzen Zehen und Fußgelenke, aber für Ausreden und Entschuldigungen ist im Ballett kein Platz. Schnell huschen sie auf ihre Ausgangspositionen, schon erschallt das nächste Kommando „Danke schön!“. Doch der Dank gilt nicht ihnen, sondern der Musik, die erneut einsetzt.
Es sind nur noch wenige Tage bis zur Premiere. Tage, nach denen alles perfekt sitzen muss. Green weiß, dass es zu schaffen ist. Aber nur mit harter Arbeit. Dabei ist der 36-Jährige alles andere als der Typ Madame Kralova, die in der Ballettserie „Anna“ für Millionen Fernsehzuschauer das Klischee eines Ballettmeisters prägte.
Von einem auf den anderen Moment kann auf die Peitsche das Zuckerbrot folgen: Ein Lächeln, das seine Tänzerinnen alle Mühe vergessen lässt. Aus vielen verschiedenen Tanzschulen von Schwelm bis Kerpen sind die 16 jungen Tänzerinnen zum Projekt „Ballett Mett“ nach Haan gekommen. Seit Januar trainieren sie zusammen. Immer samstags. Er will ihnen zeigen, wie es in einer professionellen Compagnie zugeht, wo man wild zusammengewürfelt wird und doch wie eine Einheit auftreten muss. Die Zeit drängt.
„Der Vorhang geht auf. Ganz langsam. Licht. Musik“, eröffnet Green. Die Mädchen stehen in Ausgangsposition — das Kinn stolz erhoben, den Rücken durchgestreckt, jeden Muskel angespannt. Nun sitzen die Schritte auf den Punkt, die Arme heben und senken sich synchron. Green sitzt mit der Choreographie vor ihnen und geht doch im Oberkörper jede Bewegung im Takt mit.
Den Hals wie ein Schwan gestreckt, das Lächeln lässt trotz aller Anstrengung nie nach. Er ist ein Souffleur der Haltung und Mimik. Nach dem ersten Stück lässt er die Musik weiterlaufen, ein unausgesprochenes Lob. Diesmal funktioniert alles. Als die Musik verklingt. „Licht. Vorhang. Applaus!“ Der Proberaum ist plötzlich erfüllt von gepresstem Atmen.
Das Stück zu Bachs Klängen körperlich zu beherrschen, ist aber nur die halbe Miete. Das Training erfordert ebenso viel Kopfarbeit und Vorstellungskraft. Der lichtdurchflutete, verspiegelte Proberaum an einem Samstagmorgen ist so ziemlich das genaue Gegenteil einer Bühne, auf der grelle Scheinwerfer auf die Tänzerinnen gerichtet sind, während die Dunkelheit im Zuschauerraum allen Mut in sich aufzusaugen scheint. Erst wenn die lockere Trainingskleidung gegen das Kostüm getauscht wird, schleicht sich das Lampenfieber heran. Als ehemaliger Profi kennt Jeremy Green das Gefühl nur allzu gut.
Der Lehrer hebt das rechte Bein an, dreht den gestreckten Fuß aus und beginnt durch den Saal zu wirbeln. „…sechs, sieben, acht, tepp!“, zählt er in der Bewegung die Takte mit. In zwei Meter Abstand bewegt sich die Solistin wie eine exakte Kopie mit. Wo es eben noch bei ihr hakte, läuft es nun völlig reibungslos. Manchmal sagen Schritte mehr als tausend Worte. „Alles klar?“, kommt er wieder zum Stehen. „Alles klar.“ Bei einem Solo kommt es selbst auf die anmutige Haltung der Finger einer einzelnen Hand zueinander an.
Der Lehrer ist streng und begeistert zugleich, weil er sieht, dass sich seine Schüler „in den Tanz vertiefen wollen“. Manche hätten vielleicht sogar das Potenzial, um einmal Profi zu werden. Wichtig sei es, durch das Angebot an der „richtigen Tanzwelt“ zu schnuppern. Deshalb ist er zuversichtlich, dass aus dem Projekt, das in der Region das erste dieser Art ist, mehr wird und zur Premiere und einem weitere geplanten Auftritt im Juli noch weitere hinzukommen werden.
Green öffnet den Ordner mit der Choreographie und seinen Notizen. Nahezu jeder bekommt noch einen Verbesserungsanweisung für den Heimweg mit — und ein kleines Lob. „Ich habe mir hier ,gut’ notiert“, lässt er ein Quartett über ihre Vorstellung wissen. „Oh“, raunen die Angesprochenen und strecken zufrieden die müden Beine. „Denkt aber vor allem daran, dass Ihr strahlt“, schließt Green diesmal. „Freut Euch für das Publikum.“