Herr Pörksen, Ihr neues Buch, das Sie mit Friedemann Schulz von Thun herausgegeben haben, heißt „Die Kunst des Miteinander-Redens“. In aufgeheizten politischen Zeiten erleben wir auch schon mal das Gegenteil: den theatralisch inszenierten Gesprächsabbruch. Im Erfurter Landtag, wo die Linke-Politikerin Hennig-Wellsow dem soeben gewählten (Kurzzeit-) Ministerpräsidenten Kemmerich (FDP) einen Blumenstrauß vor die Füße warf. Oder im US-Parlament, wo die Oppositionsführerin Pelosi ihre Textkopie der Rede von Präsident Trump zerriss. Gehört ein solcher Gesprächsabbruch im Extremfall zur „Kunst des Miteinander-Redens“?
Interview Miteinander reden in aufgeheizten Zeiten
Düsseldorf · Der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen über die Notwendigkeit und die Kunst des Gesprächs in einer Phase, in der die Lauten lauter und Populisten einflussreicher werden.
Bernhard Pörksen: Nicht wirklich, nein. Hier handelt es sich eher um Gesten, die sich nicht – auch wenn das so wirken mag – direkt an das Gegenüber richten, sondern an die eigenen Anhänger. Man dokumentiert mit aller Kraft und mit möglichst starken, aufrüttelnden Bildern eine einzige Botschaft: Ablehnung, Distanz, Verachtung.
Sind solche Inszenierungen charakteristisch für eine Medienwelt, in der pointierte Äußerungen und Bilder die Kommunikation über soziale Netzwerke prägen?
Pörksen: So ist es, ja. Allerdings ist die Orientierung an der visuell wirksamen Inszenierung spätestens seitdem das Fernsehen zum Massenmedium wurde, ein gängiges Mittel der politischen Kommunikation. Und ich bin mir bei Susanne Hennig-Wellsow nicht sicher, ob der hingeworfene Blumenstrauß tatsächlich einem Wirkungskalkül unterlag. Unbedingt trifft dies jedoch im Falle von Nancy Pelosi zu. Der US-Präsident hat dann versucht, diese Demütigung mit einer Gegeninszenierung zu konterkarieren – und ein Video in den sozialen Netzwerken gepostet, das suggeriert, Pelosi habe sein Redemanuskript zerrissen, als er gerade afroamerikanische Soldaten auszeichnete. Das Ziel: Die Bilder des Abscheus neu zu kontextualisieren, um die Demokratin als unpatriotisch zu diskreditieren.
Bewegungen wie Pegida auf der Straße oder die AfD in den Parlamenten sind eine Tatsache. Ist das Darauf-Zugehen, das Gespräch-Suchen nicht schon eine Art Einverständnis, dass man Positionen akzeptiert. Dass man eigentlich für unsäglich Gehaltenes für akzeptabel hält?
Pörksen: Nein, das wäre ein Missverständnis. Und Friedemann Schulz von Thun und ich warnen davor, schon die Gesprächsbemühung allzu schnell als verdruckste Parteinahme zu skandalisieren. Um die eigene Position zu klären, hilft es, Verstehen, Verständnis und Einverständnis zu unterscheiden. Verstehen, was der andere und vielleicht radikal Andersdenkende sagt, sollte man immer. Verständnis für seine Motive und Empfindlichkeiten zu entwickeln – das kann nützlich sein, ist aber vom Einzelfall abhängig. Und ob man dann auch noch einverstanden ist? Das ist offen. Das heißt nicht, dass man mit allen reden kann und soll. Die Schlüsselfrage ist: Wie scharf soll, ja muss man die Dialogvoraussetzungen definieren? Über diese Fragen haben Friedemann Schulz von Thun und ich beim Schreiben dieses Buches mehr als einmal disputiert.
Wie spricht man mit jemandem, dessen Positionen einem vielleicht zuwider sind?
Pörksen: Aus unserer Sicht braucht es in einer Zeit, in der – zumal unter vernetzten Bedingungen – Perspektiven und Ansichten in radikaler Unmittelbarkeit aufeinander prallen, eine neue Kernkompetenz, die Zukunftstugend der respektvollen Konfrontation. Gemeint ist, dass man sich nicht konfliktscheu wegduckt, dass man nicht ausweicht, aber auch nicht mit pauschalisierenden Gegenattacken reagiert, die dann das Kommunikationsklima noch weiter ruinieren.
Wie kann das gelingen?
Pörksen: Es gibt leider kein Fertigrezept, aber eines kann man mit Gewissheit sagen: Die entwertende Verallgemeinerung – weißer alter Mann, hysterische Feministin, frustrierter Ossi – sollte man unbedingt vermeiden. Zentral ist es überdies, die Person und die Position zu unterscheiden, also die Kritik an einer Auffassung nicht auf den „ganzen Menschen“ auszuweiten, wissend, dass das Pauschalurteil unvermeidlich kränkt. Und schließlich: Die Geschwindigkeit herausnehmen. Das Zögern lernen. Sich vom kommentierenden Sofortismus der Ad-hoc-Reaktionen zu verabschieden – all dies sind Prinzipien und Kommunikationstechniken, um die Gesprächs- und Dialogbereitschaft der anderen Seite zunächst auszuloten.
Hilft es, den anderen erst einmal der Wertschätzung seiner Person zu versichern, um überhaupt in den Dialog zu kommen? Und sollte man in einem solchen Gespräch direkt rote Linien ziehen?
Pörksen: In jedem Fall gilt, dass die Abwertung des Anderen gleich zu Beginn ein Gespräch garantiert ruiniert und dass die authentische, nicht bloß behauptete Wertschätzung eine Art Zaubermittel auf dem Weg des kommunikativen Brückenbaus darstellt. Und doch gilt: Es braucht die roten Linien, unbedingt. Gewaltdrohungen, rassistische Pöbeleien, antisemitische Verschwörungstheorien und die Relativierung der NS-Verbrechen – all dies sind Symptome einer Haltung, die ein Gespräch im Sinne eines echten Austausches unmöglich erscheinen lassen. Hier geht es dann eher um Streitbarkeit, um Trennschärfe im Diskurs.
Ist es nicht sogar falsch, den Dialog zu suchen, wenn man weiß, dass das Gegenüber so weit von den eigenen Positionen entfernt ist, dass nicht mal ein Minimalkonsens möglich erscheint? Muss man sich hier nicht eher abgrenzen und die andere Seite ausgrenzen?
Pörksen: Sie haben Recht: Es gibt Positionen, die man nicht diskutieren sollte und die man – in entschiedener Intoleranz gegenüber der Intoleranz – auch ächten sollte. Das ist keine besonders schöne oder elegante Lösung, aber sie erscheint mir in einer liberalen Gesellschaft, die sich auch schützen muss, unvermeidlich. Nur: Wie findet man heraus, ob das Gegenüber die Minimal-Standards verletzt? Eben dafür braucht es das Miteinander-Reden, die Klärung im Gespräch und im Disput. Und dieses Miteinander-Reden wird in Zeiten einer laufenden Kommunikationsrevolution und in einer Phase, in der die Lauten lauter und Populisten einflussreicher werden, schwieriger. Aber es wird auch umso wichtiger.
In den Parlamenten spielen sich häufig Schaukämpfe ab: der Dialog wird nur deshalb geführt, um die andere Seite am Ende vorführen zu können. Die AfD nutzt die sozialen Medien eben dazu: Es werden Positionen der Gegenseite und die eigenen zusammengeschnitten und dann dem eigenen Publikum auf Facebook zur Eigenwerbung bzw. Selbstbestätigung der Zielgruppe serviert. Ein Missbrauch des Dialog-Gedankens. Eines Dialogs, dem sich die anderen Parteien ja auch gar nicht entziehen können. Oder doch?
Pörksen: Es wird, ohne Frage, für seriöse Medien und substantiell arbeitende Politiker bedeutsamer, die populistische Spektakelpolarisierung nicht noch mit Aufmerksamkeit zu belohnen – und ihr den Sauerstoff der Publizität zu entziehen. Aber ganz grundsätzlich gesagt: Was Sie beschreiben, ist eben kein Dialog, sondern eine Provokationsschau, um den eigenen Anhängern zu imponieren und es „dem Establishment“ zu zeigen. In einem Dialog, der diesen Namen verdient, beginnt die Wahrheit zu zweit, wie Friedemann Schulz von Thun dies formuliert. Und man muss davon ausgehen: Der andere könnte Recht haben. Das heißt, das dialogische Miteinander verträgt kein Dogma, keine Ideologie. Es braucht Wertschätzung und Respekt. Und echte Neugier auf die Weltsicht des anderen.