Köln U2-Konzert in Köln: Ein Abend voller Weltschmerz

Bono und seine Band U2 erzählen an dem beeindruckenden Abend in Köln, dass wir in keiner guten Zeit leben. Und das ist viel weniger nervig, als es klingen mag.

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Köln. Am Ende hat Bono zwei Stunden gespielt, und seine Stimme hat vier Tage nach dem Konzertabbruch in Berlin in der ausverkauften Arena in Köln hörenswert gehalten, jetzt wandert er langsam über den breiten, schmalen Steg, der sich durch den Innenraum von linker zu rechter Bühne zieht und von einem durchsichtigen LED-Vorhang ummantelt ist.

Er geht auf ein kleines, leuchtendes Haus zu, holt eine große Glühlampe heraus, umarmt das Licht, die Weisheit, die Hoffnung, tanzt ein bisschen mit ihr und singt dazu das wirklich schöne Stück „13 — (There is a Light)“ vom 2017er Album „Songs of Experience“. Er preist das Licht, das immer da ist, auch wenn die Welt nicht immer die ist, die sie sein könnte. Und dann wandert der 58-Jährige Bono weiter, hinaus aus der Halle. Langsam, getragen, ausklingend. Licht aus, Show zu Ende, das andere, große Licht ohne Weisheit, das der Halle, geht an. Es reißt einen kalt heraus. Bono ist weg, und auf einmal auch The Edge, Adam Clayton und Larry Mullen auf der anderen Seite des Innenraums, die der Blick kurz verlassen hatte, weil man Bono beim Predigen dann doch noch ganz gern zugehört hat. Wobei kann man sicher sein ist, dass er damit nicht aufhören wird. Aber warum auch?

U2 funktionieren auch im 42. Jahr ihres Bestehens, die Halle ist voll, das zweite Konzert in Köln folgt am Mittwochabend und wird wieder ausverkauft sein. Und wenn man das Konzert auf sich wirken lässt, weiß man, warum. Weil all das, was einem daheim allein vor dem Lautsprecher nach all den Jahren schon mal etwas abgedroschen und bis zur Klebrigkeit hymnenhaft daher kommt, hier im doppelten Wortsinn gewaltig wirkt. U2 ist eine Liveband, die ihr Publikum über die Konzerte zurückgewinnt: Lange hat man nicht mehr reingehört, und dann sieht man dieses gewaltige Theater, die Bilder, hört die Worte - und taucht wieder ab ins 14-Alben-Werk, das ja echte Perlen in Vielzahl abwirft, und ein markantes Merkmal dieses Konzerts ist die Tatsache, dass von „The Joshua Tree“, dem Meilenstein-Album von 1987, nicht mal ein einziger Song gespielt ist. Und das ganz ohne Affront.

Stattdessen das volle Programm Weltschmerz, hingebungsvoll vorgetragen, visuell abgebildet auf der beeindruckenden Installation. Vom „Großen Diktator“ Charlie Chaplins zum zerstörten Deutschland nach dem Krieg, gebrochen mit gegenwärtigen Nazi-Aufmärschen, dazu der vielsagende Opener „The Blackout“ als Weltgeschehen-Überbegriff, kraftstrotzend ohne Ende. Ab und an tauchen die vier Musiker als Schatten auf, in einiger Entfernung voneinander, jeder für sich eine kleine Legende, ohne Zweifel. Das braucht Raum. Immer wieder an diesem Abend, der auch der Familie als Rückzugsort huldigt, als kleinste Einheit des Zusammenhalts: Wenn Bono visuell seiner längst verstorbenen Mutter „Iris“ (vom Album „Songs of Innocence“) hinterherläuft und sie zu greifen versucht oder durch Dublins „Cedarwood-Road“ spaziert. Wenn The Edges Tochter mit dem Soldatenhelm auf die Leinwand projiziert wird, der einst ein U2-Cover zierte und bei „Songs for Experience“ mit Bonos Sohn und jener Tochter als Motiv erneut auftaucht. Generationenwechsel ohne Ablösung. Sie sind ja noch da. Man muss nur lang genug existieren, um die Kreise schließen zu können.

Und wie. Bono fordert die Fans auf, sich wieder „wie Kinder zu fühlen“, erfreut sich an seiner stimmlichen Schnellgesundung („Heute läuft es wirklich gut“), feiert die Band („Das ist die größte Rock'n'Roll Band des Planeten“) und hämmert passend einen echten Höhepunkt des Abends heraus: „Elevator“, gefolgt von „Vertigo“ - da gibt es kein Halten mehr beim euphorisierten, beim tanzenden Publikum, das bis zu 250 Euro pro Ticket bezahlt hat, was natürlich eine Unverschämtheit ist, aber immerhin mit fehlender Bescheidenheit belohnt wird, die aus einem Konzert eine künstlerische Performance, einen bunten Zirkus macht, der nicht immer lustig, aber immer bunt ist. In dem Bono wahlweise als Mephisto den Toten Hosen-Sänger Campino verhöhnt, weil der für Frieden in Chemnitz gekämpft habe. "Wie öde", sagt Mephisto, der immer wieder zu Bono wird, weil die Technik noch nicht ganz ausgereift ist, aber die Botschaft ist angekommen. Sie ist ja auch nicht überraschend, steter Tropfen höhlt den Stein. „Wir sind mehr“-Hashtag inklusive. „Nie wieder Chemnitz“ und „Wir lieben Dich, Deutschland“ ruft Bono nach „Pride — In The Name of Love“ und zeigt zum Song „Summer of Love“ das einsame Flüchtlingsboot auf dem Meer neben dem Kreuzfahrtschiff. Verstanden? Natürlich! Es mag zu viel sein, aber die Zeit ist die richtigste für diesen Auftritt, die es je gegeben hat.

Es gibt kein Zurückhalten mehr, er feiert Europa, stimmt „Freude schöner Götterfunken“ an, mahnt alle Diktatoren dieser Welt und liefert zum Abschluss die Botschaften auf der Leinwand. „Keiner von uns ist gleich, bis wir alle gleich sind.“ Oder: „Armut ist sexistisch.“ Was nicht da stand: Es war ein großartiger Abend. Wahrscheinlich zu profan, keine zweite Ebene. Aber eine ehrliche Empfindung.