Kunst Unheimliche Spuren im Haus Lange
Das Künstlerduo Elmgreen und Dragset inszeniert mit „Die Zugezogenen“ eine Ausstellung, die offen lässt: Was ist hier passiert?
Krefeld. Im Haus Lange ist die Tafel gedeckt. Edles Porzellan, Kristallgläser und Silberbesteck sorgen für ein gediegenes Ambiente. Über sechzig Jahre war die von Mies van der Rohe erbaute Villa ein Museum, jetzt scheint sie wieder zu ihrer Ursprungsfunktion zurückgekehrt zu sein. Doch die vermeintlichen Hausherren, die alles so wohnlich arrangiert haben, sind ein international berühmtes Künstlerduo. Michael Elmgreen und Ingar Dragset haben unter dem Titel „Die Zugezogenen“ eine Inszenierung geschaffen, die in der glanzvollen Ausstellungsgeschichte des Hauses einen weiteren Höhepunkt darstellt.
„Wir sind im Zeitalter der Fake News (dt. Falschmeldungen)“, sagt Katia Baudin, Direktorin der Kunstmuseen, dazu. Wie gut das funktionieren kann, zeigte schon die Aufregung im Vorfeld der Ausstellung. Seit Tagen war im Vorgarten des Hauses das Verkaufsschild eines bekannten Krefelder Immobilienmaklers zu sehen, was zu vielen besorgten Anrufen aus der Bevölkerung führte. Und als in der vergangenen Woche im Krefelder Lokalteil dieser Zeitung berichtet wurde, dass eine Familie vor dem Brexit aus Großbritannien nach Krefeld geflohen sei und in einem Interview von ihrem Einzug ins Haus Lange erzählte, ging das Spiel weiter. „Es ist großartig, dass die WZ zwei Seiten für ein Kunstprojekt zur Verfügung gestellt hat“, sagt Baudin. Sie ist auch von der Reaktion der Krefelder beeindruckt. „Sie hängen sehr an der öffentlichen Nutzung des Hauses“.
Für das Künstlerduo Elmgreen und Dragset ist der berühmte Bau ein unglaubliches Gebäude. „Der Ort wird als Gesamtheit begriffen und realisiert“, erklärt Kuratorin Magdalena Holzhey von den Kunstmuseen. Das narrative Element ist wesentlich und das Thema Brexit lag bereits bei den Vorbereitungen zu der Ausstellung in der Luft.
Die fiktive Familie, die aus England geflüchtet und hier eingezogen ist, legt Wert auf Tradition und Kultur. Neben der festlichen Tafel gibt es einen Kamin, den unvermeidlichen Konzertflügel, Bronzeskulpturen, Bilder und Bücher. Überall finden sich Hinweise auf die britische Herkunft. Englische Bücher, ein Porzellanteller mit dem Bild der Queen oder die „Times“. Diese ist gleich zweimal zu sehen, akkurat gefaltet auf zwei Sofas. Die Doppelung ist ein beliebtes Motiv der Künstler, das sich durch die gesamte Ausstellung zieht.
In dem ehemaligen Esszimmer, das durch eine originale Trennwand aus Holz zu einem kleinen Salon abgeteilt ist, treiben sie die Spiegelung auf die Spitze. Sofas, Zeitungen, Lampen, Bilder und sogar Teetassen gibt es hier doppelt. Farblich ist alles in Schwarzweiß gehalten. Diese übertriebene Perfektion ist ein weiteres Merkmal, das jedoch immer wieder ironisch durchbrochen wurde. Virtuos spielen die Künstler mit verschiedenen Ebenen. Originales Mobiliar von Mies van der Rohe mischen sie mit banalen Alltagsgegenständen und eigenen Kunstwerken.
Den klaren Strukturen der Bauhausarchitektur setzen sie eine opulente Fülle entgegen, die manchmal komisch und bizarr zugleich wirkt. So befinden sich die berühmten Barcelona-Sessel neben einem Bündel von Stuckleisten, die wie zufällig abgestellt erscheinen. So ein historisches Detail in Form einer mit Stuck verzierten Platte befindet sich auch in der Nähe der Festtafel. Die hässliche Spinne, die darauf sitzt, sorgt für leichten Ekel und Irritation. Geradezu verstörend ist der exakt geformte Riss, der sich quer durch den Tisch zieht und sogar Geschirr und Stühle zerteilt. Die großbürgerliche Welt, die hier teilweise bombastisch zur Schau gestellt wird, ist an vielen Stellen brüchig. Europäische Kultur und Werte sind gerade in der jetzigen Zeit mehr denn je gefährdet. Der Brexit, der hier als äußerer Anlass dient, ist nur ein Beispiel dafür.
Raffiniert mischen Elmgreen und Dragset die gesellschaftlichen und politischen Probleme mit den privaten Befindlichkeiten einer Familie. Leitmotivisch zieht sich das Bild eines Jungen durch die Räume, der die Uniform einer englischen Eliteschule trägt. Den „hohen Erwartungen“, die laut Titel an ihn gerichtet werden, wird er nicht gerecht. Als zusammengekauerte Figur sitzt er im Kamin, genau gegenüber der Stelle, wo der Riss durch den Tisch geht. Geradezu unheimlich wird es in der oberen Etage, wo sich früher die Schlafzimmer befanden. Wieder gibt es eine Spiegelung mit zwei Kinderbetten, auf denen jeweils ein übergroßer Raubvogel sitzt. In den komplett schwarz gestalteten Räumen wirken die weißen Betten und Vögel wie geisterhafte Erscheinungen.
Wie sich Vergangenheit und Gegenwart fast unmerklich begegnen, ist im ehemaligen Badezimmer zu sehen. Gegenüber der originalen Badewanne haben die Künstler ein witziges Doppelwaschbecken installiert, dessen Rohre eng miteinander verschlungen sind. „Second Marriage“ (zweite Hochzeit) ist auch ein wunderbares Beispiel für ihren subtilen Humor. Die wohl spektakulärste Arbeit des Duos befindet sich auf der Terrasse. Die in einem Schwimmbecken treibende Figur eines toten Mannes war 2009 bei der Biennale in Venedig zu sehen. Jetzt fügt sich die Installation wie selbstverständlich in den Kontext der „Zugezogenen“ ein. Es ist ein Bild des Scheiterns, das diesen imaginären Neuanfang der Familie in einem zwiespältigen Licht erscheinen lässt. Insgesamt ist es eine Schau, die mit optischer Fülle und skurrilem Witz besticht, doch zugleich auch sehr nachdenklich macht. Elmgreen & Dragset zeigen wie in Stefan Zweigs gleichnamigen Roman eine „Welt von Gestern“, die brüchig geworden ist und zu verschwinden droht. Was danach kommt, bleibt ungewiss. Mit diesen Fragen treffen sie genau den Nerv der Zeit.