Kommentar zum Attentat in Hanau Bluttat von Hanau: Es wird Zeit für ein Mittel gegen das Gift in der Gesellschaft
Meinung | Berlin · Es gibt einen geistigen Hintergrund rechter Taten. Sozusagen eine gemeinsame Erzählung, gespeist vor allem aus Verschwörungstheorien. Manche Reaktion bei Twitter belegt dies - und verursacht nur noch extreme Übelkeit.
Diese Tat muss eine Zäsur sein. Wach werden! Neun ermordete Menschen mit Migrationshintergrund, einfach hingerichtet. Sechs Verletzte, zum Teil schwer. Ob der Täter krank, wirr oder paranoid gewesen ist, ist völlig egal. Eine solche Tat kommt nicht aus dem Nichts. Nun muss endlich auch der letzte Hinterwäldler begreifen: Menschenfeindlichkeit, Rassismus, Ausgrenzung und Hetze fördern das Böse ans Tageslicht. Nicht das Gute und auch nicht die heile deutsche Welt. Heute wie früher nicht. Erst das Wort, dann die Tat. Nie war diese Erkenntnis wahrer als jetzt.
Der Mord an Walter Lübcke, der Anschlag auf die Synagoge in Halle, nun das Massaker in Hanau, dazu kürzlich die Festnahmen mehrerer Rechtsextremer mit kruden Umsturzphantasien, Deutschland hat ein rechtes Terrorproblem. Und zwar ein mörderisches. Schon seit dem NSU. Das kann man nicht mehr ernsthaft in Zweifel ziehen. Auch wenn AfD-Fraktionschef Alexander Gauland dies ein ums andere Mal bestreitet, die Enthemmung wird politisch begleitet und befeuert. Es gibt einen geistigen Hintergrund rechter Taten, Zündler und Mitläufer. Sozusagen eine gemeinsame Erzählung, gespeist vor allem aus Verschwörungstheorien. Manche Reaktion bei Twitter belegt dies - und verursacht nur noch extreme Übelkeit.
Wie lange wollen Gesellschaft und Staat sich noch gefallen lassen, dass der Hass gegen andere Menschen immer salonfähiger wird und in brutaler Weise Leben auslöscht? Angela Merkel spricht vom Gift. Gift zersetzt, manchmal quälend langsam. Bis dass der Tod eintritt. Die demokratische Gesellschaft, in der vielen der Respekt vor anderen Menschen und anderen Meinungen mittlerweile abhandengekommen ist, befindet sich also in höchster Gefahr. Zeit für ein Gegenmittel.
Wie war das noch in den 1970er Jahren, als der Linksterrorismus der RAF die Republik bedroht hat? Da gab es eine radikale Kooperation von Polizei und Justiz, mit aller Macht ging der Staat damals gegen seine Feinde vor. Auch gegen die, die sich seinerzeit Sympathisanten nannten. Und heute? „Wir müssen“, „wir dürfen nicht“, „wir können nicht“ - das sind die politischen Reaktionen nach jeder neuen Horrortat. Wer aber das Gift wieder entfernen will, muss hart therapieren. Ähnlich wie in den 70ern, nur zusätzlich auf neuen Ebenen. Die Sicherheitsbehörden sind zuletzt bereits gezielt und verstärkt gegen rechtsextreme Gruppierungen vorgegangen. Das ist ein Anfang. Mehr aber noch nicht. Der Druck muss weiter hoch bleiben. Die Zusammenarbeit der Behörden muss daher verbessert werden. Es braucht mehr Personal gegen den rechten Terror, ein entschlossenes Vorgehen gegen Netzwerke und Strukturen. Und es muss deutliche Urteile geben, die vielleicht abschreckend wirken können.
Wer hetzt, muss zudem viel schneller verfolgt und bestraft werden. Gerade im Netz. Jeder sollte sich klarmachen, wie wertvoll eine freiheitliche Gesellschaft ist, die auf Dauer den alltäglichen Hass nicht aushalten wird. Endlich wach werden.