Kommentar Eine lächerliche Geste von Rest-Humanität

Meinung | Berlin · „Ordnung und Humanität“ will die Bundesregierung angesichts der Lage in den überfüllten Flüchtlingslagern Griechenlands gewährleisten. Sie scheitert nun mit Beidem.

Kinder spielen in einem provisorischen Zeltlager auf der griechischen Insel Lesbos.

Foto: dpa/Angelos Tzortzinis

Bravo. Die große Koalition erklärt sich bereit, kranke oder unbegleitete Kinder aus den griechischen Flüchtlingslagern zu übernehmen. Der Beschluss gilt jedoch nur für einen Teil aus einem kleinen Kontingent von 1000 bis 1500, das eine europäische „Koalition der Willigen“ übernehmen soll. Anfangs ging selbst Innenminister Horst Seehofer noch von 5000 Kindern aus, eine Zahl, die auch die örtlichen Behörden gemeldet haben. Die deutlich niedrigere Zahl ist das Ergebnis eines langen Gefeilsches, Brüllereien innerhalb der Unionsfraktion inklusive, und läuft unter der Überschrift: „Ordnung und Humanität“.

Doch die 3500 anderen Kinder sind nicht verschwunden, weil die große Koalition in Berlin sie nicht sehen will. Außerdem ist die Lage auf den Inseln nicht nur für Kinder prekär. Es gibt dort auch kranke Erwachsene, Familien, alte Menschen. Die Lager sind hoffnungslos überfüllt, weil seit Jahren niemand Griechenland die Flüchtlinge abnimmt. Für all diese Probleme ist der Beschluss der Koalition vom Sonntagabend eine lächerliche, eine hartherzige Antwort. Er ist das absolute Minimum.

Was in Griechenland geschieht ist die hässliche Fratze der Festung Europa, meint Werner Kolhoff.

Foto: nn

Angenommen, Deutschland übernähme aus dem beschlossenen Kontingent am Ende die Hälfte, etwa 800 Kinder. Diese Größenordnung ist wahrscheinlich. Das wäre dann ein Kind auf 80.000 Einwohner. Also ein Kind auf eine Stadt wie Flensburg, Konstanz oder Bamberg. Bravo. Sarkastisch muss man sagen: Hoffentlich gibt es dort keine Demonstrationen der AfD und anderer besorgter Bürger gegen die „neue Flüchtlingswelle“.

Von der Überschrift „Ordnung und Humanität“ bleibt auf den griechischen Inseln auch nicht die Ordnung. Rechtsextreme, auch aus Deutschland eingereiste, drangsalieren die Menschen, auch die Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und Journalisten. Zelte und Gebäude brennen. 2015 ging die Ordnung an den Grenzen verloren. Das soll sich nicht wiederholen. 2020 aber fallen die Staaten in das andere Extrem.

Der Beschluss der Koalition nutzt noch nicht einmal den ohnehin schon engen Spielraum, den der Koalitionsvertrag gelassen hätte. Dort ist die berühmte Obergrenze von 180.000 bis 220.000 Flüchtlingen pro Jahr formuliert, das entspricht 0,25 Prozent der deutschen Bevölkerung. Und diese Obergrenze ist nie erreicht worden.

Das Boot ist nicht voll. Es gäbe sogar Platz für alle oder fast alle 42 000 Flüchtlinge, die auf den griechischen Inseln gestrandet sind. Und immer noch würde ein solcher Beschluss keine neuen Flüchtlinge nachlocken, weil die EU-Außengrenze anders als 2015 weitgehend dicht ist – brutal dicht. Was in Griechenland geschieht, ist keine Ordnung. Das ist die hässliche Fratze der Festung Europa.