Meinung Kampf gegen Wohnungsnot versus alles andere

Meinung · Haben neue Wohnungen Priorität gegenüber dem Bedürfnis nach Naherholung oder dem Klimaschutz? Das ist schwierig zu beantworten.

Juliane Kinast

Foto: Judith Michaelis

Das Land und die Bezirksregierung kämpfen mit ihren Programmen wie „Bauland an der Schiene“ und „Mehr Wohnbauland am Rhein“ beharrlich um jeden Quadratmeter außerhalb der Metropolen, der noch fürs Wohnen taugen könnte. Und doch wird sich absehbar – also in dieser Legislaturperiode, der nächsten oder vielleicht sogar der übernächsten – nicht viel dadurch gewinnen lassen. Zu langsam gehen die Verfahren voran. Doch damit nicht genug: Statt Jubel ernten die Planer und ihre Unterstützer auch noch Gegenwehr, wo immer sie einen wertvollen Quadratmeter oder zwei auftun.

„Nahezu jede Flächenentwicklung ist heute auf der einen Seite von Kritik begleitet – auf der anderen Seite wird kritisiert, dass in einigen Regionen (bezahlbarer) Wohnraum fehlt.“ So formuliert das Landesbauministerium gegenüber dieser Zeitung den Zwiespalt, in dem sich seine Siedlungspolitik in NRW befindet. Ihm fällt die ungemütliche Aufgabe zu, abzuwägen, welchem Interesse sie mehr Gewicht zubilligt: Dem Interesse derer, die günstig und mit Anbindung an die Ballungszentren wohnen wollen; oder dem Interesse derer, die vor zehn Jahren für mühsam Erspartes ein schönes Heim am Stadtrand erworben haben mit der Maßgabe, freie Sicht auf die Natur zu haben statt demnächst auf Bagger und dann Häuserwände.

Noch am letzten Tag vor der Sommerpause wurde die Regierung im Landtagsplenum von der Opposition dafür gegrillt, dass sie den Flächenverbrauch in NRW nicht mehr deckeln will – so beschlossen im neuen Landesentwicklungsplan. Verschwindet das Land unter Asphalt und Beton? Was ist mit Artenschutz, was mit dem Klimaschutz durch gesundes Grün? Andererseits: Wo liegen die Alternativen zum ungeliebten Wohnwucher auf der grünen Wiese, die wir zur Naherholung und für gute Luft brauchen? Auf Ackerflächen, die unsere Nahversorgung sicherstellen? Allein in der vielerorts bereits überreizten Innenstadtverdichtung – also der Bebauung von jedem noch freien Fleckchen in den ohnehin versiegelten Citys – kann sie nicht bestehen.

Wie groß die Not auch der Landesregierung ist, zeigt, dass schon Gespräche mit den Kommunen über potenzielle Wohnflächen, die längst im Regionalplanentwurf stehen, als Sensation verkauft werden. Dass man notfalls teure Bahnstationen bauen will, auf jeden Fall Radwege, wenn dadurch nur ein Wohngebiet entstehen könnte. Der Ansatz von Ministerium und Bezirksregierung immerhin, die Menschen vor Ort möglichst früh mitzunehmen auf ihrem Weg, ist vielversprechend. Den Zwiespalt schließen, wird das nicht – aber vielleicht überbrücken.