Leitartikel Schäuble hat Recht

Sollte Wolfgang Schäuble tatsächlich Hoffnung haben, im kommenden Jahr der nächste Bundespräsident zu werden, so kann er diese Hoffnung jetzt begraben. Dafür bräuchte der Minister die Unterstützung der SPD, die er aber nach seiner harschen Kritik an der Russland- und Brexit-Politik von Außenminister Frank-Walter Steinmeier endgültig nicht mehr bekommen dürfte.

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Das war’s für Schäuble in Sachen Präsidentschaft.

Zu Recht mäkeln die Genossen zurück, dass die Kanzlerin nach dem Brexit-Entscheid ebenfalls in Berlin einen Mini-Gipfel mit Frankreich und Italien veranstaltet hat, auch ohne Rücksicht auf andere EU-Partner. So wie Steinmeier mit den Außenministern der EU-Gründerländer. Dazu aber kein Wort von Schäuble — stattdessen schießt er sich auf seinen Kabinettskollegen ein. Schäuble sucht die Abgrenzung zur SPD, wie schon häufiger in den letzten Monaten. Das nennt man Vorwahlkampf. Freilich hat der Finanzminister grundsätzlich Recht: In der jetzigen unsicheren und teilweise verfahrenen Lage Europas ist es fahrlässig, wenn man andere, vor allem kleinere Partner außen vor lässt.

Eine Angst vor zu viel deutscher Dominanz könnte die EU in ihrem notwendigen Reformprozess lähmen. Das scheint Außenminister Steinmeier inzwischen selbst eingesehen zu haben, wenn er betont, kleinere Länder dürften nicht überfordert werden. Man kann nur hoffen, dass die Kanzlerin das genauso sieht. Denn der Frust über Europa hat auch etwas damit zu tun, dass Merkel in den letzten Jahren die europäische Krisenpolitik diktiert hat — in der Finanz- und Eurokrise, in der Griechenlandpolitik oder im Umgang mit der Flüchtlingsproblematik. Viele in Europa haben sich von ihr in den letzten Jahren bevormundet und nicht genügend eingebunden gefühlt.

Weil Schäuble einmal in Fahrt gewesen ist, hat auch die EU-Kommission ihr Fett weg bekommen. Hier stimmt ebenfalls, was der Minister beklagt: Probleme wie die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Europa hat die Kommission zu lange hingenommen, obwohl sie sich anfänglich eine Agenda für mehr sozialen Zusammenhalt gegeben hatte. Die Schieflage in und zwischen den europäischen Ländern ist aber einer der Gründe, warum zahlreiche Bürger ihr Vertrauen in Brüssel und die Entscheidungen dort verloren haben. Das muss sich ändern. Und zwar zügig und nachhaltig. Falls die Kommission das nicht verstehen will, dann müssen einige Staaten das Heft halt in die Hand nehmen. Wie Schäuble es vorschlägt. Besser so, als wenn sich nichts ändert.