Meinung Umweltministerin verspielt ihre Glaubwürdigkeit
Es ist knapp ein Jahr her, da hat sich Bundesumweltministerin Barbara Hendricks in Sachen Tihange 2 und Doel 3 klar geäußert. Beide belgischen Kernkraftwerke müssten sofort vom Netz genommen werden, so die SPD-Politikerin.
Nach Ansicht deutscher Experten seien die Anlagen nicht sicher, der weitere Betrieb unverantwortlich. Zwei Monate später wird das Kraftwerk Tihange mit Brennelementen aus dem niedersächsischen Lingen beliefert. Zuständig für die Genehmigung: Ministerin Barbara Hendricks. Insgesamt 50 Transporte für die beiden Pannen-Reaktoren sind von deutscher Seite abgesegnet worden, 33 davon stehen noch aus. Ein grandioses Beispiel für Scheinheiligkeit im politischen Betrieb.
Hendricks beruft sich darauf, dass die juristische Lage keinen anderen Weg zulasse. Es gibt allerdings gut begründete Rechtsauffassungen, die zu einem ganz anderen Ergebnis kommen. Demnach kann die Lieferung von Brennelementen ins Ausland sehr wohl verboten werden, wenn die Sicherheit der Anlagen nicht ausreichend nachgewiesen ist. Das ist bei den beiden belgischen Reaktoren ohne Zweifel der Fall.
Das Problem reicht aber weit über eine Umweltministerin hinaus, die ihre Glaubwürdigkeit verspielt hat. Es kann nicht sein, dass Kernkraftwerke als rein nationale Angelegenheit behandelt werden. Wenn es um Standards für Kühlschränke, Äpfel oder Lampen geht, fühlt sich die EU verantwortlich und erlässt Vorschriften. Nur in Sachen Reaktorsicherheit ist Brüssel nicht zuständig. Dabei kann es kein besseres Beispiel für die Notwendigkeit grenzüberschreitender Normen geben. Der Wind in Mitteleuropa weht meist von West nach Ost. Kommt es in den grenznahen belgischen Meilern zur Katastrophe, trifft die nukleare Wolke vor allem die Menschen im Rheinland.
Strom ist preiswert und in Europa reichlich vorhanden. Belgien kann mit Hilfe der Nachbarn sofort mit Energie versorgt werden. Wo Trassen fehlen, lassen sich die Lücken schließen. Im Vergleich zu den Folgekosten eines Atomunfalls ist der finanzielle Aufwand lächerlich gering. Die EU braucht für die Betriebssicherheit von Atomkraftwerken einheitliche, sehr strenge Standards. Hätte die Kommission in Brüssel das Sagen, könnten auch die zum Teil uralten Anlagen in Frankreich und Tschechien entsprechend geprüft werden. Die sind vermutlich nicht sicherer als die Bröckelreaktoren in Belgien.