Pioniere der abstrakten Malerei: Kunstsammlung NRW zeigt 120 Werke von Wassily Kandinsky und Hilma af Klint Der russische Star und die schwedische Malerin

DÜSSELDORF · Wassily Kandinskys Abstraktionen sind weltberühmt. Hilma af Klint blieb jahrzehntelang unbekannt. Dabei war die schwedische Malerin Kandinsky mindestens ebenbürtig - und künstlerisch sogar voraus.

Eine Ausstellungsbesucherin betrachtet das Gemälde „Altarbild“ von Hilma af Klint. Während Kandinsky weltberühmt wurde, blieb Hilma af Klints visionäres Werk jahrzehntelang unbekannt.

Foto: dpa/Oliver Berg

Wassily Kandinsky (1866-1944) und Hilma af Klint (1862-1944). Außer dem Todeszeitpunkt vor 80 Jahren – was verbindet diese Künstler? Wenn sie sich persönlich auch nie begegnet sind, sie gelten beide als Wegbereiter abstrakter Kunst. Jeder auf seine Art. Zunächst malten sie konventionelle Landschaften, Tiere oder Blumen, die Jahr um Jahr reduziertere Formen annahmen, bis sie mit Beginn des Ersten Weltkriegs gediegene Abstraktion erreichten. Anhand von mehr als 120 Bildern, Briefen, Büchern und Notizbüchern wandelt die Kunstsammlung NRW (K20) in Düsseldorf bis Mitte August mit einer Groß-Ausstellung auf den Spuren der beiden.

Hier der emigrierte Russe und spätere Weltbürger Kandinsky: Mit seinen geometrischen Gebilden wurde er schon zu Lebzeiten in Kunst-Metropolen als Star nicht gegenständlicher Malerei gefeiert. Auch das K20 erwarb schon früh Kandinsky-Bilder, die in der Ausstellung neben zahlreichen weltbekannten Leihgaben seinen Werdegang nachzeichnen. Dort die spirituelle Schwedin und Tochter eines Marine-Offiziers, die zunächst nahezu botanische Studien von Blumen und Gewächsen erstellte, keine ihrer Bilder verkaufen wollte (deshalb nicht bekannt werden konnte) und testamentarisch verfügte, dass ihr Werk erst 20 Jahre nach ihrem Tod ausgestellt werden dürfe.

Ihre Schätze – meist in Serien gemalt – schlummerten zunächst auf einem Dachboden. Erst in den 1980er Jahren erfuhr die kunstinteressierte Öffentlichkeit – dank ihres Neffen – von der ungewöhnlichen Frau. 2018 bestaunten Hunderttausende im New Yorker Guggenheim-Museum ihre Kunst, berichten die Af-Klint-Spezialisten Julia Voss und Daniel Birnbaum. Sie stellten eine Kollektion zusammen, die Ähnlichkeiten, aber auch künstlerische und biografische Unterschiede zwischen beiden Pionieren hervorheben. Eine Schau, die, wie K20-Direktorin Susanne Gaensheimer vermutet, einem „kunsthistorischen Ereignis“ gleichkommt.

Mit Landschaften und Naturszenen begannen beide. Unabhängig voneinander verehrten sie auf ihren Bildern den Heiligen Georg, der den Drachen besiegte. Bei den frühen Kandinsky-Bildern erahnt man noch Baumwipfel, Seen und Wassertiere. Manchmal in satten Leuchtfarben des Expressionismus. Bei af Klint, die kurze Zeit vor Kandinsky abstrakt malte, ragen anfangs noch Hals und Kopf eines Schwans empor. Langsam, aber stetig lösen sich (bei beiden) die Motive in Formen und Farben auf. Zuerst erkennt man noch Symbole und Ornamente, bis sie schließlich in Linien, Kreisen, Quadern, Quadraten oder Pyramiden übergehen. Beiden – die mit 45 Jahren ihre Schlüsselwerke malten – ging es um das „Geistige“, so Julia Voss. „Um die Versinnbildlichung dessen, was man nicht sehen kann.“

Ebenfalls arbeiteten beide in Gruppen. Während Kandinsky (mit seiner Partnerin Gabriele Münter) als Networker zu den Gründern des Blauen Reiter gehörte und im Bauhaus mit Studenten experimentierte, kreierte Af Klint in abgeschlossenen Frauengruppen. Sie umgab sich in ihrer Welt mit Frauen, zu denen sie manchmal ein innigliches Liebesverhältnis aufbaute. Berühmt waren ihre spiritistischen Séancen.

Beide Künstler verarbeiteten Umbrüche der Wissenschaft und Gesellschaft: wie die in der Physik, die Spaltung des Atoms – oder in der Psychiatrie, die mögliche Spaltung von Seelen. Hilma af Klint lebte in Stockholm, als dort Wilhelm Conrad Röntgen oder die Curies die Nobelpreise erhielten.

Insgesamt hat Kandinsky eher zu geometrischen Formen gefunden – ausbalanciert und minutiös konstruiert wirken seine späten Bilder, organisch schwebend eher die von Hilma af Klint. Zu sehen in der Reihe von Atom-Bildern oder in ihrer Achter-Serie von 1906: Blüten, Pflanzen und Spiralen in hellgrünen freundlichen Pastelltönen lässt sie schwerelos schwingen und ihre Bahnen ziehen. „Urchaos“ nennt sie diese esoterisch angehauchten Gebilde. So schön kann Chaos sein, denkt man.

Ein Jahr später entstanden af Klints „Zehn Größte“: So bezeichnete sie zehn Monumental-Formate (3,20 mal 2,40 Meter), auf denen sie mit organischen, harmonisch anmutenden Formen (manchmal wie aufplatzende Blüten) arbeitet und Befruchtung, Geschlechterrollen oder die Lebensphasen des Menschen beleuchtet. Kindheit in Blau, Erwachsensein in Lila, Greisenalter in Braun. Einige Bilder unterzeichnete sie mit „Vestalin“ (Römische Priesterin) und „Asket“. Diese Riesentableaus sollten, so ihr Plan, das Interieur eines zehneckigen Tempels dekorieren, dessen Modell (ebenfalls zu sehen) af Klint selbst entwarf. „Bescheidenheit war nicht ihre Stärke“, kommentiert af-Klint-Biografin Julia Voss die Pläne der unabhängigen, selbstbewussten Künstlerin. Sie hätte Kandinsky treffen können, als er in Stockholm drei Monate für eine Ausstellung wohnte. Doch einzig eine Bemerkung über den schon bekannten Maler findet sich in ihrem Notizbuch aus dem Jahr 1927: „Kandinsky: reine Farben, Flächen. In Russland gibt es mehr Künstler, welche nur in Farbe leben.“

Hilma af Klint und Wassily Kandinsky: Träume von der Zukunft. Kunstsammlung NRW, K20, Grabbeplatz 5, Düsseldorf. 16. März bis 11. August. Geöffnet: Di-So 11-18 Uhr. Eintritt: 16 Euro, erm. 14 Euro; Katalogbuch: 32 Euro.