Bayer-Fehlstart: „Müssen uns den Hintern aufreißen“
Leverkusen (dpa) - Die Euphorie vor der Saison war groß, die Ernüchterung nach dem 2. Spieltag ist fast noch größer. Durch den Null-Punkte-Fehlstart ist Julian Nagelsmanns Meistertipp Bayer Leverkusen schön früh in der Saison entzaubert worden.
„Mir fehlen die Besessenheit, die Gier und die Galligkeit, jeden Zweikampf gewinnen zu wollen“, schimpfte Torhüter Ramazan Özcan nach der 1:3 (1:1)-Heimniederlage gegen den bisherigen Lieblingsgegner VfL Wolfsburg: „Jeder darf Fehler machen, ich schau beim 1:1 auch nicht gut aus. Aber ich will, dass wir uns den Hintern aufreißen.“
Nach dem 0:2 zum Auftakt in Mönchengladbach und mit einem Auswärtsspiel beim FC Bayern vor der Brust, steht Bayer nun schon richtig unter Druck. Dabei war die Werkself nicht nur von Hoffenheims Trainer Nagelsmann vor der Saison als Geheimfavorit genannt worden.
An der Qualität dieser hochveranlagten Mannschaft gibt es auch wenig Zweifel. Die Frage der mentalen Stärke stellen sich aber einige bei Bayer. Auch Kapitän Lars Bender erkannte, „dass wir heute nicht hart genug gearbeitet haben, um dieses Spiel zu gewinnen. Bei aller fußballerischer Qualität, die wir haben, gehört harte Arbeit immer an die erste Stelle.“
Das Spiel beim Meister sei aber „vielleicht genau die Aufgabe, die wir jetzt brauchen. Da müssen wir jetzt durch. Da gibt es keine Ausflüchte. Da kann man sehen, wer seinen Mann stehen kann.“
Die Niederlage gegen Wolfsburg war umso verwunderlicher, da Bayer durch das erste Liga-Tor des letztjährigen Shootingstars Leon Bailey seit dem 17. Februar in Führung gegangen war (24.) und Sicherheit hätte bekommen können. Ein offiziell als Eigentor gewertetes Missgeschick von Bayer-Torhüter Ramazan Özcan, der einen Schuss von Yannick Gerhardt ins eigene Tor lenkte (36. Minute), Neuzugang Wout Weghorst (55.) und Renato Steffen (60.) sicherten dem VfL aber den erst zweiten Sieg im 22. Spiel in der BayArena. Und vor allem den zweiten Sieg im zweiten Spiel.
Beim Abpfiff war der VfL sogar Tabellenführer und die Fans sangen „Spitzenreiter, Spitzenreiter“. Fragen danach bezeichnete der neue Sportchef Jörg Schmadtke aber als „Klamauk“. Die Tabelle interessiere ihn noch nicht, beteuerte Schmadtke: „Aber dass wir nach dem 0:1 stabil geblieben sind, beruhigt ein bisschen.“
Dabei hatte Wolfsburg neben dem etatmäßigen Kapitän Josuha Guilavogui kurzfristig auch dessen eingeplanten Ersatz ersetzen müssen: Torhüter Koen Casteels reiste wegen der bevorstehenden Geburt seines Kindes am Samstagmittag aus dem Teamquartier in Köln zur Familie. Für ihn stand der im Sommer aus Linz gekommene Österreicher Pavao Pervan im Tor und gab ein ordentliches Bundesliga-Debüt. Kapitän war Robin Knoche.
„In Hessen sagt man: Wir machen kein Geschiss darum, wenn einer fehlt“, sagte Bruno Labbadia, VfL-Trainer und gebürtiger Darmstädter. Aus der überstandenen Relegation habe man „viel Kraft gezogen“, erklärte er weiter.
Zudem haben viele VfL-Spieler aktuell eine Zusatz-Motivation. Casteels ist bereits der sechste Wolfsburger Spieler, der in etwas mehr als einem Monat Vater wird. Vor ihm durften sich Marvin Stefaniak, Yunus Malli, Paul-Georges Ntep und die Torschützen Weghorst und Steffen über Nachwuchs freuen. „Das kann schon einen Schub geben“, sagte Steffen: „Aber ich kann ja jetzt nicht jede Woche ein Kind bekommen.“