Versammlungsrecht Auch Ausländer dürfen demonstrieren
DÜSSELDORF · Äußerungen der NRW-Antisemitismus-Beauftragten Leutheusser-Schnarrenberger sorgen für Aufsehen. Am Ende hat sie diese in einer Klarstellung korrigiert.
Das hatte aufhorchen lassen: Ausgerechnet Ex-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), eine engagierte Streiterin für die Bürgerrechte, macht sich für die Einschränkung eines Grundrechts stark? In der WDR-Sendung „Westpol“ hatte sie am Sonntag gesagt: Wenn eine Versammlung angemeldet werde, müsse mit Blick auf die Veranstalter geprüft werden, „wie die Staatsangehörigkeit ist. Denn es ist eines der wenigen Grundrechte, die eben nur Deutschen zustehen“. Dies sei eine Möglichkeit, „mal im Vorhinein ein Verbot auszusprechen, was insgesamt bei Versammlungen bei unserem Versammlungsrecht sonst schwierig ist“. Nachdem die Äußerung hohe Wellen geschlagen hatte, rückte Leutheusser-Schnarrenberger sie nachträglich zurecht.
Dabei ist der Hintergrund der Worte verständlich. Schließlich ist Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Antisemitismusbeauftragte des Landes NRW. Auf pro-palästinensischen Demonstrationen wurde in jüngster Zeit das Existenzrecht Israels in Frage gestellt. Auch wurden bei einer Versammlung in Essen mit dem Ruf nach Einführung eines Kalifats Menschen in Angst und Schrecken versetzt, die vor Islamisten nach Deutschland geflohen waren. Und die sich, wie auch viele Juden, nun hier nicht mehr sicher fühlen. Überdies: Ein Kalifatstaat ist das Gegenteil unserer demokratischen Rechtsordnung, deren Vorzüge eben jene Demonstranten für sich in Anspruch nehmen.
NRW-Versammlungsgesetz: Jede Person hat dieses Recht
Doch kann mit diesen Argumenten solcherart Demonstrationen von vornherein verbieten? Rechtlich scheint das auf den ersten Blick ganz einfach zu sein. Schließlich heißt es in Artikel 8 des Grundgesetzes: „Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“ Ausländer haben dieses Recht also nicht, ließe sich folgern.
Doch schon ein Blick in das für Nordrhein-Westfalen geltende Landes-Versammlungsgesetz zeigt, dass es so einfach gerade nicht ist. Dort steht nämlich: „Jede Person hat das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen mit anderen zu versammeln und Versammlungen zu veranstalten.“ Da müsste der Düsseldorfer Landtag das erst vor zwei Jahren nach langem politischem Streit verabschiedete Versammlungsgesetz ändern. Und die Formulierung „Jede Person“ ersetzen durch „Alle Deutschen“. Im Einklang mit dem Grundgesetz könnte dieser Schritt zwar stehen. Aber würde er rechtlich und politisch funktionieren?
Das Grundgesetz unterscheidet zwischen sogenannten Jedermann-Grundrechten, auf die sich jeder berufen kann. Und eben den Deutschen-Grundrechten. Doch Ausländer aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union können sich auf das europarechtliche Diskriminierungsverbot berufen. Sie dürfen auch im Hinblick auf ihr Versammlungsrecht nicht schlechter gestellt werden als Deutsche.
Jede weitere Gesetzesplanung müsste also unterscheiden zwischen EU-Ausländern und Ausländern aus Drittstaaten. Doch auch das würde am Ende nicht weiterhelfen. Denn völkerrechtlich gilt das Versammlungsrecht für einen weiten Personenkreis. Nach Artikel 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention sichern die Vertragsstaaten „allen ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen“ die vereinbarten Menschenrechte zu. Dazu zählt auch die Versammlungsfreiheit nach Artikel 11 der Konvention.
Internationale Regeln garantieren die Demonstrationsfreiheit
Daher kam der wissenschaftliche Dienst des Bundestages schon im Jahr 2018 zu dem Fazit: Das Versammlungsrecht hat nicht nur den Anforderungen des Artikels 8 Grundgesetz, sondern auch den unions- und völkerrechtlichen Verpflichtungen zu genügen. Auf die Versammlungsfreiheit können sich neben Deutschen auch EU-Ausländer, Ausländer aus Drittstaaten und Staatenlose berufen.“
Entsprechend hatte der grüne NRW-Justizminister Benjamin Limbach reagiert: Generelle Versammlungsverbote für Nicht-EU-Ausländer seien die falsche Reaktion – und zudem „rechtlich unzulässig“ und praktisch „nicht realisierbar“. Entscheidend sei „die Friedlichkeit der Versammlungen, nicht die Staatsangehörigkeit ihrer Teilnehmerinnen und Teilnehmer“.
Am Montag dann sagte Leutheusser-Schnarrenberger, sie bedaure, mit falschen, missverständlichen Äußerungen für Irritationen gesorgt zu haben. Sie plädiere keineswegs dafür, das Versammlungsrecht nur Deutschen zuzugestehen. „Natürlich haben Ausländer ein Versammlungsrecht“, betonte sie. Es gehe ihr lediglich darum, dass im Vorfeld noch intensiver geprüft werde, wer eine Versammlung anmelde und ob es Verbindungen zu verbotenen Organisationen oder Hinweise auf frühere antisemitische oder ähnlich problematische Äußerungen gebe. „Und da kann natürlich auch mal ein Migrationshintergrund eine Rolle spielen. Aber doch nicht in dem Sinne, dass sie kein Versammlungsrecht haben, sondern dass das in der Prüfung bei einer Anzeige einer Versammlung eben von der Polizei mit in den Blick genommen werden muss.“