Zwei Tage lang in einer anderen Welt

Auf den ersten Blick ist die japanische Comic-Messe Dokomi ein buntes Schaulaufen. Doch es steckt mehr dahinter.

Foto: Judith Michaelis

Andernorts wurden die bunt verkleideten Menschen, die sich am Wochenende überall in der Stadt herumtreiben, verwundert angestarrt. Auf dem Messegelände feierten sie sich dagegen selbst: Die Mangamesse Dokomi ist jedes Jahr Treffpunkt für Fans der japanischen Comic-Kultur — und für viele etwas ganz Besonderes. Wir haben vor Ort fünf Dinge gesucht, warum das so ist.

Foto: Ina Fassbender

Die Messehallen werden zu einem eigenen Mikrokosmos, in dem andere Regeln gelten. Fragt man als Reporterin nach den Namen der Interviewpartner ist die erste Gegenfrage meist: „Der echte oder mein Künstlername?“ Auch Nachnamen scheinen auf der Messe nicht zu existieren. Bittet man um ein Foto, wird das eigentlich nie abgelehnt. Und sofort nehmen die Motive ihre Posen ein. Denn: Jeder spielt dabei auch eine Rolle. Und die muss man eben durchziehen. Das fängt mit dem detaillierten Kostüm an und hört bei der passenden Pose für ein Foto noch lange nicht auf.

Kaum jemand bei diesem Zusammentreffen trägt ein Kostüm von der Stange. Lin zum Beispiel hat alles an ihrem Kostüm — sie ist hier als „Rakan“ aus dem Spiel „League of Legends“ — selbst gemacht. Sogar die Perücke hat sie handgeknüpft. Woher sie das kann? „Ich habe einfach ausprobiert — und Youtube-Videos geguckt“, sagt sie. Melinda hat sich dagegen ein Katzenkostüm genäht. Sogar der Kopf ist komplett selbst gemacht. Im Durchschnitt sitzen die Cosplayer drei bis vier Monate an ihren Kostümen. Da kann es auch vorkommen, dass die Polizei Kontrollgänge über die Messe macht und Personen mit Waffen anspricht — die sehen oft täuschend echt aus.

Die Kostüme verursachen nicht nur Aufwand, sondern auch Schmerzen. Mario ist als Elias Ainsworth aus „Die Braut des Magiers“ verkleidet. Zentrales Element seines Kostüms: ein großer Tierschädel mit Hörnern. Den hat er mit einem 3D-Drucker produziert und zusammengeklebt. Der Schädel selbst ist nicht gerade leicht. „Man braucht einen starken Nacken“, sagt Mario. Drinnen wird es auch ziemlich warm, sehen und hören kann er nur noch eingeschränkt. Auch Nicole, Alexandra, Vivien und Beatrice aus der Nähe von Berlin finden: Für einen Tag muss man das schon mal aushalten. Ja, die Schminke juckt irgendwann, Ja, es wird auf Dauer warm, und Nein, auf die Toilette kann man mit ihren Kostümen nicht gehen. Übrigens: Nach siebenstündiger Anfahrt am Vorabend sind sie am Samstagmorgen schon um sieben Uhr aufgestanden, um sich vorzubereiten. „Wenn man dann die Perücke und die engen Abbinder (die die Figur anpassen sollen, Anm. d. Red.) am Abend ablegen kann, ist das schon eine große Befreiung. Da denke ich jedes Mal: Nie mehr Cosplay“, sagt Alexandra lachend. Und dann macht sie es doch wieder.

Hatte die Messe vor wenigen Jahren noch knapp 1800 Besucher, rechnet sie in diesem Jahr mit 45 000 Fans an beiden Tagen. Vom Congress-Center ist die Veranstaltung mittlerweile auch auf mehrere Messehallen ausgeweitet worden. Dort sind nicht mehr nur ein paar Aussteller und verkleidete Cosplayer zu finden, dort werden die bekanntesten Spiele vor Publikum ausprobiert, bei „Creamy’s Castle“ die Fernseh-Show „Takeshi’s Castle“ nachgeahmt und in einem Foodcourt japanisches Essen genossen. Kurz: Die Dokomi ist sowohl bei den Besuchern als auch bei ihrem Angebot gewachsen.

Cosplayer halten zusammen. Nicht nur, dass sich jeder auf die Suche nach anderen macht, die Charaktere aus den gleichen Spielen oder Geschichten verkörpern — es werden Kostüme bewundert, Techniken ausgetauscht und: sich im Notfall auch mal geholfen. Am Cospital in einer Halle werden Cosplayer unterstützt, die Probleme mit ihrem Kostüm haben. „Hier wird genäht, geklebt, nachgestylt“, sagt Annika, die dort mithilft: „Wir sind alle auch Cosplayer und kennen die Probleme, die das Kostüm auf so einer Convention machen kann. Da helfen wir gerne improvisieren.“