Der vielfältige Klang des Glaubens
Norbert Jachtmann ist Sachverständiger für Glocken weit über Krefeld hinaus.
Krefeld. Ein Glockenschlag ist mehr als nur ein Ton. Er ruft zum Gottesdienst, zeigt die Uhrzeit an und ist darüber hinaus Glaubensverkündigung. Oft lässt er in den Seelen der Menschen „etwas mitschwingen“. Manche dieser aus Bronze gegossenen Klangkörper besitzen 20 verschiedene Nuancen, die ertönen, wenn der Klöppel zuschlägt. Um das zu erkennen, muss der Laie gut zuhören, am besten unter fachlicher Anleitung.
Norbert Jachtmann ist der einzige Glockensachverständige in den Bistümern Aachen und Essen und im Erzbistum Köln. Er hat ein ganz besonderes Verhältnis zu den Glocken. Der Hülser nahm die WZ mit an seinen Lieblingsplatz, den 30 Meter hohen, von einem eisigen Wind umwehten Turm von St. Anna. Dort erklingen die fünf prachtvollen Exemplare nicht nur, sie werden zu den verschiedenen Kirchenzeiten auch anders geläutet. Und beiern kann der Kirchenmusiker und Organist Jachtmann natürlich auch.
„Die Glocken heißen der Größe nach geordnet ,Maria Immaculata‘; sie ist die größte und als einzige von 1966. Es folgen ,Herz Jesu‘, ,Joseph‘, ,Anna‘ und ,Joachim‘. Sie sind 3566, 1969, 1416, 983 und 820 Kilo schwer. Ihre Schlagtöne sind h, d‘, e‘, fis‘ und g‘. Bis auf die größte stammen sie aus dem Jahr 1905, aus der Gießerei Otto in Bremen. Die ursprüngliche große Glocke ist 1963, beim Totengeläut für Papst Johannes XXIII., gesprungen und musste ersetzt werden.“ Sie ist für den Stundenschlag zuständig.
Eine ähnlich denkwürdige Begebenheit erfuhr Jachtmann mit seinen Töchtern am Dreikönigstag 2011 am Kölner Dom. „Nach 47 Schlägen war es für mich erschütternd, das Verstummen der St. Petersglocke, der größten freischwingenden Glocke der Welt, mitzuerleben“, erinnert er sich. Tochter Stefanie hatte mit ihrem Handy ein Video gedreht und zufällig die Glockenschläge bis zum Ende aufgezeichnet, als der riesige Klöppel herunterkrachte.
„Es war Materialermüdung, die den 800 Kilo schweren Klöppel abstürzen ließ. Wenn die Glocken schwingen, sind extreme Kräfte am Werk.“ Der Sachverständige legt den Verantwortlichen der Gemeinden die regelmäßige, jährliche Wartung durch Fachleute ans Herz. „Geprüft werden Aufhängung, Armaturen, Klöppel, Elektrik und Verteilung. Die Gemeinden müssen auch dafür sorgen, dass der Raum unter den Glocken abgesichert ist.“ Seinem Sachverstand zufolge ist der neue Klöppel von St. Peter im Kölner Dom nun um die 200 Kilo leichter.
In St. Anna sind noch die großen — nun abgedeckten — Bereiche in den Decken zu sehen, durch die die Glocken zu Beginn des vorigen Jahrhunderts an ihren luftigen Platz gezogen wurden. „Die fünf Glocken entsprechen dem Standard und den Proportionen der Kirche.“
Dass bei einem Schlag mehrere Töne erklingen, beruht auf dem Aufbau der Glocke. „Würde man einen Querschnitt der Glocken betrachten, würde man mehrere Klangplatten mit einem unterschiedlichen Durchmesser sehen, deren Frequenzen verschiedene Töne erzeugen.“
Pure Nostalgie herrscht, wenn der Glockenton per Hand hervorgerufen und dazu auch noch eine Melodie gespielt wird. Dann begeben sich musikalische Männer — denn diese Art des Musizierens ist schwere Arbeit und mit einem 3000-Meter-Lauf zu vergleichen — mit ihren Notenblättern zum Beiern in den Glockenturm.
Dabei werden die Glocken nicht wie gewöhnlich durch Hin- und Herschwingen zum Klingen gebracht. Die Klöppel werden an ein Seil gebunden und dann von Hand gezogen oder gedrückt. „Wir beiern beispielsweise zum Pfarrfest am 30. Mai“, sagt Jachtmann.
Gute Zuhörer erkennen am Geläut die Kirchenzeit. Jachtmann: „Zur Fastenzeit erklingen sie bedächtiger, in Moll. Nach dem Gloria in der Osternacht ertönt das volle freudige Geläut.“