„Wirst du irre bei“ Mysteriöses Brummen in Krefeld? Anwohner sucht Ursache
Krefeld · Seit einigen Monaten hört ein Krefelder regelmäßig ein Brummen. Es hält ihn nachts wach, es macht ihm Kopfschmerzen. Doch wo kommt es her? Eine Spurensuche.
Am ersten Dienstagabend des Jahres, gegen halb zehn, schickt André Sauerbier eine SMS: „Ich kann es jetzt wieder hören. Auch in der Garage.“ Eine Stunde später stehen wir in einem Parkhaus an der Nordstraße nahe der Liebfrauenkirche und schauen auf das Handy, das Sauerbier auf die Motorhaube seines Autos gelegt hat. Darauf läuft eine App, die Lautstärke und Frequenzen misst, ob es sich also um eher hohe oder tiefe Töne handelt. Die Linie tanzt auf und ab, völlig still ist es in der Stadt schließlich nie. Sauerbier fragt, ob auch ich das Geräusch höre, das er mit einem tiefen „Düdeldüm“ umschreibt. Wir schweigen. Ich höre alle möglichen Geräusche von draußen, vorbeifahrende Autos, Stimmen von einem Balkon. Das Geräusch aber, das ihn auch heute nicht in Ruhe lässt, höre ich nicht. Sauerbier sagt: „Ich höre das einwandfrei.“
Am nächsten Tag um 12 Uhr hat Sauerbier, 48, selbständiger IT-Dienstleister, einen Kundentermin in Düsseldorf. Er wäre schon froh, wenn er bis dahin noch ein wenig Schlaf fände. Die Nächte sind für ihn das schlimmste. Weil dann kein anderes Geräusch jenes Geräusch verdrängt, das er schon seit Monaten hört. In seiner Wohnung, aber auch in der Nähe. Das ihn um den Schlaf bringt und deshalb an die Gesundheit geht. Und von dem er noch immer nicht weiß, woher es kommt.
Das wird jetzt etwas komplizierter. Geräusche haben es so an sich, dass man sie nicht sehen kann. Wenn einer etwas sieht, kann er es einem anderen zeigen, und der kann sagen: Da ist doch nichts – und wird an diesem Urteil auch nicht zweifeln. Wenn es aber um ein Geräusch geht, das nur der eine hört, kann der andere zwar sagen, er höre nichts – aber er wird sich schwer damit tun, die Existenz des Geräusches auszuschließen. Vielleicht hört der andere einfach viel besser.
Vor dem Treffen im Parkhaus haben wir bereits am Nachmittag an einem Spielplatz gegenüber der Liebfrauenkirche miteinander gesprochen. Sauerbiers Wohnung ist in der Nähe, aber dort möchte er sich nicht treffen. Die Wohnung hat er seit mehr als 15 Jahren, das heißt auch, die Miete ist bezahlbar. So was gibt man nicht so schnell auf. Sauerbier macht einen geschafften Eindruck, die Strapazen, die der Schlafmangel mit sich bringt, sehe ich ihm an. Das Gesicht ist blass, die Augen gerötet. Zum Reden allerdings muss ich ihn nicht zwingen.
Sauerbier sagt, er habe schon früher bemerkt, dass er sehr gut höre. Damals habe er regelmäßig dem DJ gesagt, dass der Sound nicht gut eingestellt sei. Auch sein Ohrenarzt habe ihm neulich ein ausgezeichnetes Gehör bescheinigt. Im April 2022, so berichtet er, hörte er zum ersten Mal so ein tiefes Geräusch. Als sei der Fernseher der Nachbarn zu laut, ohne dass er ein Wort verstand. Kurze Zeit später war es wieder verschwunden. Doch im September setzte ein ähnliches Brummen ein. Weil er deshalb sowieso nicht schlafen konnte, machte er sich nachts zu Fuß auf die Suche nach der Ursache. Als er den Radius größer zog, setzte er sich aufs Rad. Bis er vor einem Seniorenheim in der Nähe seiner Wohnung stand, und das Geräusch plötzlich sehr laut wurde. Er benachrichtigte die Stadtverwaltung, die in einem Schaltschrank des Seniorenheims einen Ventilator mit Lagerschaden entdeckte. Als ein Mitarbeiter der Stadt den Ventilator abschaltete, rief er Sauerbier an. Der hatte den Eindruck, dass es augenblicklich leiser wurde. Was er dem Mitarbeiter damals nicht sagte: „Ich glaube, da ist noch was.“
Zunächst hoffte er noch, seine Ohren müssten sich erst mal daran gewöhnen, dass das Geräusch weg war, aber dann stand für ihn fest: Da ist wirklich noch was. Ein Brummen, das so ähnlich klingt wie das alte, wie der Fernseher vom Nachbarn oder die Waschmaschine, eines, das er bis heute ständig hört, besonders nachts. „Da wirst du einfach nur irre bei“, sagt er. Er überprüfte zunächst, ob es nicht wieder der defekte Ventilator war, dann drehte er wieder seine Runden. Diesmal konnte er die Quelle nicht orten. In China bestellte er ein Geophon, das eigentlich Erdbeben misst und Erschütterungen aufzeichnet. Er war davon überzeugt, dass dieses Geräusch für so genannten Körperschall sorgte, sich also nicht bloß durch die Luft übertrug, sondern die Fenster in der Wohnung zum Schwingen brachte, was wiederum die Luft in seiner Wohnung in Bewegung setzte. Er stellte das Geophon auf die Fensterbank und schloss es dauerhaft an einen Computer an. Für den Aufbau holte er sich Tipps beim Geologischen Dienst NRW, der seinen Sitz in Krefeld hat und auch Erdbeben misst.
Eine der Aufnahmen schickte er mir. Seiner Meinung nach enthielt sie das störende Geräusch. Tatsächlich hörte ich in der Aufnahme über einem Dauerbrummen das von ihm beschriebene unregelmäßige Brummen. Aber dann fehlten ihm die Geräte, um das Geräusch zu orten. Er musste nun auf die Hilfe der Stadt hoffen.
Am Spielplatz erzählt er mir, was er hinter dem Geräusch vermutet. Für ihn kann es nur eine Wärmepumpe sein, möglicherweise eine defekte. In einer Wärmepumpe saugt ein Ventilator die warme Außenluft ein, die dann in Hitze verwandelt wird. Je nach Bedarf dreht der Ventilator schneller oder langsamer, er moduliert. Das passt für Sauerbier, weil er das Geräusch als unregelmäßig empfindet. An so etwas wie einen tropfenden Wasserhahn könnte er sich gewöhnen. „Aber diese Unregelmäßigkeit machte es für mich zur Herausforderung. So eine Unstetigkeit, so ein nervöses Zucken.“ Eine Wärmepumpe würde für ihn auch erklären, weshalb er im Sommer nichts gehört hat. Da heize schließlich niemand. Er habe schon in der Nachbarschaft nach Wärmepumpen gesucht, aber die meisten seien zum Garten hin aufgebaut, so dass er keinen Einblick habe. Bei der Stadt registriert werden müssen sie auch nicht. Kurz vor Weihnachten hielt er es nicht mehr aus und suchte eine andere Schlafstelle einige Kilometer entfernt auf. Doch auch dort hörte er das Geräusch. Er glaubt, es sei entweder dieselbe Pumpe oder dasselbe Modell.
Die Zahl der Wärmepumpen nimmt in Deutschland stetig zu, schließlich ist man dann nicht mehr auf teures Gas angewiesen, sondern nur auf Strom. Im Internet ist viel zu lesen davon, dass die Geräte häufiger für Beschwerden von Nachbarn sorgen. Allerdings steht dort nichts von Fällen, in denen es über mehrere hundert Meter oder einige Kilometer zu hören ist. Das erscheint mir logisch, denn dann müsste es für die unmittelbaren Nachbarn richtig laut sein.
Sauerbier hat schon mal im eigenen Haus nachgefragt. Dort hört niemand das Geräusch. Aber erst heute habe ihm eine Frau aus der Nachbarschaft erzählt, dass auch sie es höre. Aber warum offenbar sonst niemand? Könnte das Geräusch nicht auch in seinem Kopf entstehen? Er sagt, einen Tinnitus schließe er aus. Er wisse, wie der sich anhöre, denn seit Jahren hat er einen auf beiden Ohren. Das übliche Piepsen. Und an anderen Orten in Krefeld oder wenn er in anderen Städten arbeite, höre er das Geräusch nicht. Dann fühlt er sich schnell besser.
Am Ende unseres Gesprächs zeigt er mir anschaulich, wie sehr ihn der Schlafmangel belastet. Er streckt seine Arme vorm Oberkörper aus. Die linke Hand fängt an zu zittern. Nur wenn er sich darauf konzentriert, hört das Zittern fast wieder auf.
Ein paar Tage später besucht ihn ein Mitarbeiter der Unteren Immissionsschutzbehörde (UIB) der Stadt. Ein paar Tage später teilt mir ein Sprecher der Stadt schriftlich mit, dass die Prüfung nichts ergeben habe: „Im konkreten Beschwerdefall konnten bei den Vorortterminen in der Wohnung von den Mitarbeitenden der UIB keine störenden Geräusche wahrgenommen werden. Die erfolgten Messungen haben ebenso keinen Anhaltspunkt auf eine Geräuschbelästigung beziehungsweise Lärmrichtwertüberschreitung ergeben. Die konkret als Ursache aufgeführten Wärmepumpen konnten nicht lokalisiert werden, da keine entsprechenden Geräusche im Außenbereich festgestellt wurden.“ Weitere Prüfungen will die Stadt in Sauerbiers Wohnung nicht vornehmen.
Der Sprecher schreibt aber auch, dass Hinweise auf Geräuschentwicklung durch private Wärmepumpen in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen hätten. Die Ermittlung der Verursacher sei jedoch meist eindeutig, da die Wärmpumpen auch außerhalb von Gebäuden gut zu lokalisieren seien. „Die Erfahrung hat gezeigt, dass bei schwer zu ermittelnden Verursachern von störenden Geräuschen folgende Anlagen in Betracht kommen: große technische Feuerungsanlagen, Blockheizkraftwerke oder andere elektronisch betriebene größere Anlagen.“ Personen, die eine Lärmbeschwerde an die Stadt richteten, könnten in aller Regel in unterschiedlichen Frequenzen besser hören als der Durchschnittsbürger.
Ist also das Geräusch, das keine Grenzwerte überschreitet, für Herrn Sauerbier einfach nur zu laut, weil er besser hört? Das würde erklären, warum es in seinem Haus sonst niemandem aufgefallen ist. Es gibt aber noch eine andere Möglichkeit.
Kai-Uwe Bellut ist Radio- und Fernsehtechnikermeister aus Niedersachsen und Betreiber der Webseite brummton.info. Überall in Deutschland und in der ganzen Welt hören Menschen Brummtöne, ohne die Ursache zu finden. Bellut selbst hörte es vor einigen Jahren plötzlich brummen. Er ging zunächst davon aus, dass die Einführung des Mobilfunkstandards LTE in seiner Region zur gleichen Zeit Schuld sei. Es dauerte knapp zwei Jahre, bis er einsehen musste: Es ist ein Tinnitus.
Mit diesem Begriff verbindet man ein hohes Dauerpiepsen, doch ein Tinnitus kann sich auch in einem Brummen äußern. Und das klingt im Gegensatz zum Piepsen so, dass Menschen glauben, es könne unmöglich in ihren eigenen Ohren entstehen. „Ein unerkanntes Massenphänomen“, so nennt Bellut den Tiefton-Tinnitus. Er kennt viele Fälle, in denen Menschen überzeugt waren, dass es außerhalb ihres Kopfes brummte. Selbst ein Doktorand in der Hörforschung, der sich an seiner Webseite beteiligt, brauchte lange, um einzusehen, dass sein eigenes Brummen ein Tinnitus ist.
Im vergangenen Jahr ließ sich Bellut für einen „Spiegel“-Podcast zu einem Mann begleiten, der es ebenfalls brummen hörte und irgendwelche Strahlung dafür verantwortlich machte. Bellut rückte mit Aufnahmegeräten an, wie er es häufig macht, und stellte im Haus keinen Brummton fest. Doch bei einem Test fand er heraus, dass die Frau des Betroffenen tiefe Töne viel besser hörte. Wenn also jemand ein Brummen mit unbekannter Ursache hätte wahrnehmen müssen, dann sie. Das aber war nicht der Fall. Doch der Mann ließ sich nicht beirren. Er glaubte weiter an eine Ursache außerhalb seines Kopfes.
Selbstverständlich gibt es externe Quellen für ein Brummen, sagt Bellut. Ein Kühlschrank zwei Stockwerke weiter unten, Kläranlagen, Biokraftwerke. Aber er kennt keinen Fall, bei dem einzelne Personen monatelang ein Geräusch hörten und sich am Ende tatsächlich herausstellte, dass die Leute Recht hatten und nicht an einem Tinnitus litten. „Wenn ein Brummton da ist, dann müssten ihn auch alle hören.“ Er sagt außerdem, eine Wärmepumpe müsste man auch im Sommer hören, schließlich sei diese nicht nur fürs Heizen zuständig, sondern auch für heißes Wasser. Auch bei Ton-Aufnahmen eines vermeintlichen Störgeräusches ist er skeptisch. Wenn man bloß Stille aufnimmt, entstehe dabei so genanntes weißes Rauschen. „Durch Fehler beim nachträglichen Filtern mit der Software entsteht dann ein unregelmäßiges Gegrummel“, sagt Bellut.
Auf seiner Webseite gibt er Tipps, wie jeder selbst dem Brummton auf die Spur kommen kann. Bei vielen Tieftontinnitus-Betroffenen setzt das Geräusch beispielsweise aus, während sie mit den Zähnen klappern oder den Kopf ruckartig schütteln. Ein anderer Test: Beide Handflächen fest auf die Ohren pressen und mit dem Mittel- und Zeigefinger sachte auf den Kopf trommeln. Auf diese Weise erzeugt man ein dröhnendes Geräusch. Nach zehn Sekunden aufhören. Setzt der Ton im Anschluss für einige Sekunden aus, ist das ein guter Hinweis auf einen Brummton-Tinnitus. Falls nicht, erhöht es die Wahrscheinlichkeit, dass das Geräusch eine andere Ursache hat.
Seitdem Bellut akzeptiert hat, dass er neben seinem üblichen Hochton-Tinnitus auch einen Brummton-Tinnitus hat, kann er damit umgehen. „Da lebe ich mit. Da mache ich mir keinen Kopf, und das hilft.“ Er empfiehlt Sauerbier, die auf der Homepage beschriebenen Tests zu machen, um der Ursache für seinen Brummton näherzukommen.
Als ich Sauerbier auf die Webseite und eine mögliche andere Erklärung für sein Geräusch hinweise, sagt er gleich: Nein, er sei sicher, dass es kein Tinnitus sei. Er hofft nun, dass Menschen sich bei ihm melden, die in der Gegend um die Liebfrauenkirche, Nordstraße/Ecke Westwall, ein ähnliches Geräusch hören. So will er die Quelle des Brummens endlich finden.