Kultur Performance in fremder Wohnung
Bei der „Unverletzlichkeit der Kunst“ erforschen junge Akteure das Privatleben und setzen das Ergebnis um in Text und Tanz.
Krefeld. Der Kunst ihre Intimität zurückgeben will das Werkhaus mit einem besonderen Kulturprojekt. Die Künstler Andreas Simon und René Linke sowie die Schauspielerin Annika Schmidt haben im Südbahnhof bei einer künstlerischen Pressekonferenz ihr Projekt „Die Unverletzlichkeit der Kunst“ vorgestellt. Die Projektleiter Simon und Linke werden darin aus mehreren von Bürgern zur Verfügung gestellten Wohnungen in der Innenstadt eine auswählen, in der maximal vier Schauspieler und sechs Tänzer eine tänzerisch-textuelle Konzeption entwickeln sollen.
Unter Anleitung von Simon und Linke werden die jugendlichen Akteure diese Wohnung hinsichtlich des Lebens und des Alltags ihrer Bewohner „erforschen“. Dadurch solle die Tür hinter der Kunst geschlossen und der Kunst ihre Privatsphäre zurückgegeben werden. Die Bewohner halten sich während dieser Zeit in der Wohnung auf und dürfen Angehörige oder Freunde einladen. Ansonsten wird die Öffentlichkeit jedoch ausgeschlossen.
Simon erklärt den Ansatz: „Die Akteure sollen sich ungestört auf die Atmosphäre der Umgebung einlassen.“ Sie sollen herausfinden: „Wie fühlt sich die Atmosphäre an und, wie können sie ihr eine leibliche Atmosphäre geben?“ Der Fotograf Ludger F.J. Schneider wird die Konzeption mit seiner Kamera dokumentieren.
Am 29. Januar um 19 Uhr wird das Konzept dann unter dem Titel „Von der Kunst des Verschwindens — eine öffentliche Diskussion über eine nicht-öffentliche Aktion“ im Südbahnhof erstmalig — vor der Öffentlichkeit — aufgeführt. Dabei werden dann auch Beteiligte zu Wort kommen, die während der Laufzeit des Projektes noch im Verborgenen blieben. Der private Raum werde erst dann in die Öffentlichkeit gezogen.
Die Akteure kennen die Wohnung nicht. Schmidt verrät: „Wir sind schon ganz aufgeregt und haben Lust auf das Projekt.“ Dass sie nicht über die Aktion reden dürfen und ohne Publikum agieren, mache den Akteuren nichts aus: „Wir können auch mal ohne Applaus auskommen“, sagt die Schauspielerin.
Simon und Linke hatten bereits 2015 ein Gebiet rund um die Lewerenz- und Oelschlägerstraße erschlossen, um jegliche Arten von Strömungen zu messen. So untersuchten sie die Gegend beispielsweise nach vorbeilaufenden Menschen, geparkten Autos, Regenströmen, Strom und sogar die auf der Straße geklebten Kaugummis erfassten die Künstler. „Wir wollten die Gegend so ungewöhnlich wie möglich erfassen“, erklären sie. Anschließend markierten sie ein Gebiet und nannten ihr Projekt „Strömungslehre“.
Daraus hatte sich das Projekt „Männergleich“ ergeben, bei dem 15-jährige Mädchen ein schauriges, weniger einladendes Café — eine „No—Go-Area“ — betraten und herausfinden sollten, ob sie tatsächlich unerwünscht waren. In dem Café hielten sich Männer auf, die nicht sehr sympathisch wirkten. Also forderten die Akteurinnen sie zum Armdrücken auf, machten ihnen aber auch Komplimente. Die mussten sich auf die Herausforderungen einlassen. Für Simon und Linke war klar: Die Mädchen haben gewonnen.
Die Künstler führten „Strömungslehre“ mit dem Projekt „Bitte freihalten!“ fort. Bei diesem hatten sich zwölf Jugendliche einen in dem ausgewählten Gebiet öffentlichen Raum ausgesucht, um dort zu parken. So stellten sie sich mit einem erworbenen Parkschein auf freie Parkplätze und tanzten. Damit wollten die Künstler infrage stellen, wem der öffentliche Raum gehöre.
Das Werkhaus hat Gelder vom Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes NRW für die Finanzierung von „Die Unverletzlichkeit der Kunst“ erhalten und bietet den Probebereich für die Akteure an. Dammer ist von dem Projekt schon bei der Pressekonferenz zu „Strömungslehre“ im September 2015 begeistert gewesen. Vor allem, „wegen der außergewöhnlichen Herangehensweise“.
Das Werkhaus beschäftige sich ansonsten mit der pädagogischen Arbeit mit Kindern. Bei dem Projekt steht aber die künstlerische Arbeit vor der pädagogischen, das sei einfach faszinierend. Am kommenden Sonntag beginnt die eintägige Vorrecherche für „Die Unverletzlichkeit der Kunst“. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt: „Wie gehen wir in die Wohnung?“