Bildung „Schüler verlieren die Berührungsängste“

Krefeld · Um den Geschichtsunterricht zu ergänzen, setzen einige Schulen auf eine Kooperation mit der NS-Dokumentationsstelle

 Die Leiterin des NS-Dokumentationsstelle, Sandra Franz, und ihr Team bieten einen digitalen Workshop für Schulklassen an. Foto: Stadt Krefeld, Presse und Kommunikation

Die Leiterin des NS-Dokumentationsstelle, Sandra Franz, und ihr Team bieten einen digitalen Workshop für Schulklassen an. Foto: Stadt Krefeld, Presse und Kommunikation

Foto: Stadt Krefeld

Normalerweise, sagt Sandra Franz, wäre die NS-Dokumentationsstelle, die sie leitet, zu dieser Zeit gut besucht. In den ersten Monaten des Jahres kommen sonst immer viele Gruppen – etwa rund um den Gedenktag am 27. Januar. Viele davon sind Schüler. Doch trotz der aktuellen Situation, in der seit fast einem Jahr ohnehin alles anders ist, bleibt der enge Kontakt zwischen NS-Dokumentationsstelle und Krefelder Schulen wegen Bildungspartnerschaften erhalten. Allein im Januar sind zwei neue Kooperationen hinzu gekommen. 

Elf Schulen arbeiten zusammen mit der NS-Dokumentationsstelle

Solche Bildungspartnerschaften gibt es seit 2005 auf Initiative des Landes NRW. Außerschulische Partner sollen den Fachunterricht begleiten – so die Idee. In Krefeld arbeiten unter dem Titel „Bildungspartner NRW“ das Stadtarchiv und die NS-Dokumentationsstelle Villa Merländer – ähnliche Kooperationen gibt es auch mit der Mediothek oder dem Theater. Ein Kooperationsvertrag sorgt für Verbindlichkeit – mit elf Schulen hat die NS-Dokumentationsstelle diesen bislang unterzeichnet. Darunter mehrere Gymnasien, wie das Hannah-Arendt-, das Ricarda-Huch- oder das Maria-Sibylla-Merian-Gymnasium, aber auch die Kurt-Tucholsky-Gesamtschule, das Berfuskolleg Vera Beckers oder die Realschule Horkesgath. Vergangene Woche hat auch das Michael-Ende-Gymnasium in Tönisvorst unterzeichnet, Mitte Januar die Gesamtschule Oppum.

Durch Besuch der Villa Merländer wird das Thema greifbarer

Ein Element, das für die meisten Schulen mit diesem Vertrag einhergeht, ist ein verpflichtender Besuch der Gedenkstätte für die neunten Klassen. Zu diesem Zeitpunkt kommen die Schüler im Geschichtsunterricht zum ersten Mal mit dem Thema Nationalsozialismus in Berührung. „Durch den Besuch in der Villa Merländer wird das Thema für viele Schüler greifbarer“, sagt Katharina Richter, Geschichtslehrerin am Hannah-Arendt-Gymnasium. Die persönlichen Geschichten vor Ort ließen viele Schüler anders über das Thema nachdenken.

Das sagt auch Anna Thelen, die am Michael-Ende-Gymnasium in Tönisvorst Geschichte unterrichtet. Vielen Schülern fehle heute der persönliche Zugang zu diesem Thema.

„Oma und Opa können heute vielleicht vom Mauerfall erzählen – aber nicht mehr von der Zeit des Nationalsozialismus“, sagt sie. Wenn sie den Klassenraum verlassen und an einem besonderen Ort wie der Villa Merländer mit Biografien von Krefeldern arbeiten, die in dieser Zeit gelebt haben, gebe es viel mehr Möglichkeiten, sich damit zu identifizieren. „Man merkt immer wieder, wie sehr so ein Besuch vor Ort die Schüler fesselt“, sagt Anna Thelen. 

Neben dem Besuch der Gedenkstätte in der neunten Klasse sind aber auch individuelle Projekte und Workshops Teil der Schulkooperation. „Wir sehen uns ein wenig wie der verlängerte Arm des Kollegiums der Schulen“, sagt Sandra Franz. Häufig werden schon in den siebten Klassen im Deutschunterricht Lektüren wie Anne Franks Tagebuch oder „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ gelesen. Nicht jeder Deutschlehrer habe aber den historischen Hintergrund, um mögliche Fragen, die dabei auftauchen, sicher zu beantworten. Auch in solchen Fällen können die Schulen von der Gedenkstätte profitieren – denn die Mitarbeitenden haben Erfahrung damit, das Thema auch altersgerecht für jüngere Schüler aufzubereiten. 

„Es ist schön zu sehen, wie wichtig es den Schulen ist dranzubleiben“

Und auch sonst können die Schulen sich mit eigenen Projektideen an die NS-Dokumentationsstelle wenden. Am Hannah-Arendt-Gymnasium ist etwa ein Workshop zum Thema „Entartete Kunst“ geplant, der gut durch die Campendonk-Wandgemälde in der Villa Merländer begleitet werden kann.

Zudem unterstützt die Gedenkstätte die Schulen auch bei der Vor- und Nachbereitung eigener Gedenkstättenfahrten, etwa zum Konzentrationslager Auschwitz. „Das ist eine große Entlastung für uns“, sagt Anna Thelen.

Durch die Kooperation, bemerkt Sandra Franz, verlören viele Schüler die Berührungsängste mit der Gedenkstätte. „Immer wieder fragen Schüler nach einem Praktikum bei uns oder nach Unterstützung bei der Recherche für ihre Facharbeiten.“ Insgesamt sei das Interesse der Schulen an der Zusammenarbeit groß. Zum einen sei das Thema in den vergangenen Jahren durch steigenden Rechtspopulismus und Verbreitung von Verschwörungsmythen für viele Schulen relevant – denn auch im Unterricht gibt es immer wieder Fragen oder Gespräche dazu. Zum anderen sehen viele Lehrkräfte den positiven Effekt, wenn der Unterricht an einem außerschulischen Lernort ergänzt wird. 

Auch wenn es im Moment in der Villa Merländer ruhiger ist als gewöhnlich, weil keine Besucher kommen können, geht die Bildungsarbeit weiter. Einige Workshops werden bereits ins Digitale verlegt. Doch auch zum nächstmöglichen Treffen vor Ort gibt es schon Anfragen und Gespräche. „Es ist schön zu sehen, wie wichtig es den Schulen ist dranzubleiben“, sagt Sandra Franz.