Buch „Wir waren hochgemute Nichtskönner“ Köln - eine Stadt im Kulturrausch
Köln · Die 80er und 90er Jahre waren eine kurze Zeit, in der Köln das kulturelle Zentrum der Bundesrepublik war. Den Blick auf diesen fruchtbaren Mikrokosmos im Schatten des Doms haben in ihrem Buch „Wir waren hochgemute Nichtskönner“ der in Köln geborene Literatur- und Medienwissenschaftler Gregor Schwering und die Kölner Literaturkritikerin und Autorin Gisa Funck geworfen.
Die 80er und 90er Jahre waren eine kurze Zeit, in der Köln das kulturelle Zentrum der Bundesrepublik war. Es waren rauschhafte Jahre voller Energie und Schaffenskraft. Führende bildende Künstler und Galeristen wurden genauso an den Rhein gezogen wie Kulturjournalisten und Musiker.
Von Köln gingen Trends durch ganz Deutschland und die Welt. So war damals die Galerieszene mit ihren Künstlern durchaus auf Augenhöhe mit Metropolen wie New York. Mit der Spex entstand ein führendes Kulturmagazin mitten im Belgischen Viertel und legendäre Kneipen, Klubs und Cafés wie das Blue Shell, das Broadway oder der Kurfürstenhof wurden zum Treffpunkt der illustren Szene.
16 Zeitzeugen erinnern
sich an eine Stadt im Rausch
Den Blick auf diesen fruchtbaren Mikrokosmos im Schatten des Doms haben in ihrem Buch „Wir waren hochgemute Nichtskönner“ der in Köln geborene Literatur- und Medienwissenschaftler Gregor Schwering und die Kölner Literaturkritikerin und Autorin Gisa Funck geworfen.
Unterstützt wird das Duo bei ihrer Spurensuche von 16 prominenten Zeitzeugen und Insidern wie dem Künstler Peter Bömmels, dem Galeristen Daniel Buchholz, dem Fotografen Wolfgang Burat vom Spex-Gründungsteam oder dem Musiker Jörg Burger. Wie ein roter Faden zieht sich ein fiktionaler Teil durch Buch, bei dem der Leser den Autor Schwering bei seinen Streifzügen durch Köln begleitet.
Zu den besonderen Abenden im Jahr 1980 gehört der 15. Januar, als Joy Division im Basement unter der Christuskirche auftraten. Die Band um den charismatischen Sänger Ian Curtis erlangte Weltruhm und beeinflusste nachhaltig die nachfolgenden Musikergenerationen. Die Musiker kamen vom Punk, kreierten aber später ihren ganz eigenen, völlig neuen Sound.
Beeindruckt waren damals der Maler Bömmels genauso wie der Musikproduzent Wolfgang Voigt, der mit seinem wegweisenden Technolabel Kompakt Musikgeschichte schreiben sollte. Die Punkszene selbst war in Köln Ende der 70er Jahre weit weniger ausgeprägt als in der Nachbarstadt Düsseldorf mit ihrem Ratinger Hof - aber sie war durchaus vorhanden.
Dabei waren die Protagonisten keine ausgebufften Profis und beschrieben sich als „hochgemute Nichtskönner“ (Bömmels), „Studienabbrecher“ (Ex-Galeristin Isabelle Graw), „blutige Anfänger“ (Autor und Kulturjournalist Norbert Hummelt) oder als „kompletter Autodidakt“ (Voigt). Stattdessen ging es ihnen ums Selbermachen, um Einfach-mal-Loslegen und um den Mut zum dilettantischen Scheitern. Für viele war der Winterabend 1980 mit Joy Division ein entscheidendes Datum.
Im Buch fällt der Fokus auch und vor allem auf die Musikzeitschrift Spex. Diese entstand in einer Zeit, in der populäre Musik noch strikt aus den Feuilletons der renommierten Zeitungen ausgeschlossen wurde. 1980 wurde die Spex gegründet und erschien bis ins Jahr 2020. Der Werdegang des „Low Budget Hefts aus dem Belgischen Viertel“ zum Kult-Magazin der deutschen Kulturszene wird von den Autoren und ihren Zeitzeugen genau nachgezeichnet. So wurde die Zeitschrift Spex zur „Pop-Bibel“ und zum Sprachrohr der Babyboomer-Generation. Sie beeinflusste aber auch die kulturelle Entwicklung Kölns sowie das Entstehen eines ganz neuen Musikjournalismus nachhaltig.
Ein eigenes Kapitel bekommen die Orte, an denen sich Punks, Künstler und andere Nachgestalten trafen und die oft zu Keimzellen der Kölner Subkultur wurden. Viele sind heute verschwunden, andere haben sich neu aufgestellt. So trafen sich viele Künstler wie Martin Kippenberger, A.R. Penck oder Walter Dahn nach dem Einkauf in den Buchhandlungen Walther König oder Klaus Bittner im Café Broadway an der Ehrenstraße.
Auch das Blue Shell, das Königswasser, im Six Pack oder der Kurfürstenhof wurden für viele zum Wohnzimmer oder auch zum Büro, wo man Kontakte pflegte und sich austauschte. Es entstehen wichtige Kultur- und Ausgehorte wie das Neuschwanstein, das Moroco oder das Studio 672 als angesagter Ort der Klubkultur.
Dem Aufstieg des Techno widmen die beiden Autoren ebenfalls ein eigenes Kapitel. Darin fällt der Blick auch auf die ehemalige Schokoladenfabrik Stollwerck, die nach ihrer Stilllegung besetzt und in Teilen zu einem Kulturzentrum wird. Viele Konzerte fanden dort statt und für Bands wie Kråhl Hǿsel gab es Proberäume. Aus dieser Gruppe gehen später Les Immer Essen und King Candy hervor. Techno selbst erobert als Musikrichtung nach und nach auch Köln. Als spezifische Kölner Spielart entwickelt sich der Minimal Techno, für den der „Sound of Cologne“ in den 90er Jahren exemplarisch steht.
Die Bildende Kunst entwickelt sich zwischen 1980 und 1990 in Köln ebenfalls gewaltig. Dazu beigetragen haben definitiv die „Kunstpunks“ der „Mülheimer Freiheit“, zu denen auch Peter Bömmels gehörte. Entdeckt werden diese Künstler vom bekannten Galeristen Paul Maenz, der seine „Maenz-Boys“ ganz groß rausbringen wird. Auch weitere Stars der Galerieszene wie Max Hetzler entdeckten Köln für sich und erhöhten den Glamourfaktor der Kunststadt erheblich. Dazu kam auch Rudolf Zwirner, der den Kunstmarkt Köln, die spätere Art Cologne, an den Start brachte. 1987 gab es insgesamt 180 Galerien in der Domstadt.
Gisa Funck und Gregor Schwering: „Wir waren hochgemute Nichtskönner - die rauschhaften Jahre der Kölner Subkultur 1980-1995“, Kiepenheuer & Witsch, 352 Seiten, 28 Euro