Herbertzstraße: „Hier passt jeder auf jeden auf“
Die Räumung der Siedlung an der Herbertzstraße erregt die Gemüter — nicht nur der Betroffenen.
Krefeld-Oppum. Liegestühle auf der Wiese, ein aufblasbarer Pool für die Kinder, kühle Getränke: Vor einem Querblock in der sogenannten Obdachlosen-Siedlung Herbertzstraße sieht es stark nach Urlaub aus.
Doch die 71 Personen, die nach Angaben des Fachbereichs Soziales, Senioren und Wohnen dort noch leben, sind verunsichert. Sie sollen bis zum 30. Juni die Wohnungen, die sie zum Teil erst seit Kurzem bewohnen, verlassen haben.
Gleich nach dem ersten WZ-Bericht vom 6. Mai hat ein Mitarbeiter der Stadt Listen mit Wohnungsangeboten verteilt, wurden leerstehende Wohnungen von zurückgelassenem Mobilar, von Türen und Schutt geräumt.
Am WZ-Mobil werden Bezirkspolitiker ebenso wie Vertreter von Stadt und Wohnstätte vermisst, die vielleicht viele Fragen hätten beantworten können.
„Wir würden auch gern wissen, wie es weitergeht“, sagt Monika Heckenbach von der Herbertzstraße 107, den „gelben Blocks“, deren Bewohner aber Mietverträge haben und demnach nicht als obdachlos gelten. Auch ihre Nachbarin Rita Dominiks hat erfahren, dass die Häuser mit den Nummern 87 bis 107a „in drei, vier Jahren abgerissen“ werden.
„70 Quadratmeter für 359 Euro Miete, wo gibt es das noch?“ Beide stören sich an dem hohen Wasserverbrauch durch mobile Planschbecken auf Allgemeinflächen: „Das zahlt die Stadt, also wir alle.“ Kiosk-Betreiberin Marion Müller ist bereits in eine Wohnung an der Straße Weiden umgezogen.
„Aber zwei meiner Kinder müssen raus. Für den 20- und 22-Jährigen ist kein Platz in der neuen Wohnung.“ Sie weiß nicht, ob sie den Jahrespachtvertrag für den Kiosk nicht zum Oktober kündigen soll.
„Ich habe Mitleid mit den Leuten. Das ist unmenschlich, sie werden wie Tiere behandelt. Die haben sich in neuen Wohnungen gerade eingerichtet, da sollen sie wieder weg“, empört sich Margret Leonards aus Mönchengladbach, die seit 17 Jahren die Lotto-Toto-Annahmestelle an der Herbertzstraße betreibt.
Nie sei dort irgendetwas Schlimmes passiert. Ein Immobilienbesitzer von nebenan findet, dass sich die Politik vor 50 Jahren ein „Sozialdenkmal“ an der Herbertzstraße geschaffen hat. „Die Polizei wollte damals die Leute im Blick haben. Die Blocks sind in Billigbauweise entstanden. Daher der Schimmel.“
Katharina Belobreidick will in der Herbertzstraße wohnen bleiben. „Hier ist es gar nicht mehr so schlimm“, sagt sie. Die 76-Jährige hat Angst, in eine Wohnung ziehen zu müssen, die nicht im Erdgeschoss liegt. Sie benutze einen Rollator und möchte keine Treppen steigen.
Seit 44 Jahren wohnt sie in der Herbertzstraße. Peter Kerberg wohnt an der Straße Weiden, ihn betrifft der Konflikt selber nicht. Dennoch ergreift er Partei: „Das ist pure Profitgier. Hier werden Eigentumswohnungen geschaffen“, vermutet er. Schließlich werde die Infrastruktur rund um die Herbertzstraße neu ausgebaut.
„Unverschämt“, findet die 73 Jahre alte Edith van Megen die bevorstehende Räumung. Sie wohnt auch seit über 44 Jahren dort. „Ich weiß gar nicht, was eigentlich vor sich geht. Und wie ich alleine einen Umzug schaffen soll“, beschwert sie sich.
Siegfried Bär wohnt ebenfalls an der Herbertzstraße. Er schildert ein Erlebnis auf dem Amt: „Man hat mir gesagt, ich solle mir doch ein Zelt kaufen, wenn ich keine Wohnung finde“, behauptet er.
Auch Kinder der Anwohner melden sich zu Wort. „Ich möchte hier wohnen bleiben“, sagt Alexandra (9). „Denn hier wohnen alle meine Freunde.“ Die 15 Jahre alte Melanie möchte das Jugendzentrum nicht missen. „Die machen tolle Unternehmungen. Wir sind sogar schon nach Italien gefahren“, berichtet sie. „Hier halten die Kinder zusammen“, sagt Manuela Heisler, die selber Mutter ist. „Jeder passt auf jeden auf.“