Blindenführung: Kunst zum Tasten im Museum Haus Lange

Die Teilnehmer durften das tun, was sonst nie erlaubt ist — die Skulpturen anfassen.

Foto: Dirk Jochmann

Krefeld. Irmgard Schulte streckt ihren schmalen Körper nach oben. Zaghaft tasten ihre weiß behandschuhten Hände den stählernen Abschlussring entlang. Langsam folgen ihre Finger der Rundung der Stahlstange. „Das prägt sich sehr gut ein“, stellt sie fest. Sehen kann Irmgard Schulte das abstrakte Stahlgebilde „Gravitational Vehicles“ des amerikanischen Bildhauers David Rabinowitch nicht.

Auf einem Auge ist sie blind, das andere hat eine Sehkraft von unter fünf Prozent. Früher ging die Seniorin oft in Kunstausstellungen. Jetzt freut sie sich, dass der Blinden- und Sehbehindertenverein Krefeld zu einer Führung durch das Museum Haus Lange einlädt.

Sechs Sehbehinderte und ihre Begleiter folgten am Samstag Thomas Janzen durch die aktuelle Ausstellung „Zugaben. Sammlung Freunde der Kunstmuseen Krefeld“. Es ist eine Führung mit fast allen Sinnen. Das Sehvermögen ist nicht der einzig mögliche Zugang zur Kunst, weiß der Museumspädagoge. Mit seiner Hilfe können sich Blinde ein Bild von den Skulpturen machen. Ausnahmsweise ist Anfassen erlaubt. Dank weißer Baumwollhandschuhe wird die Kunst greifbar und begreifbar.

Beate Pogorzelsky ist von den Handschuhen wenig begeistert. „Die sind so dick“, sagt die 1. Vorsitzende des Blinden- und Sehbehindertenvereins. „Es gibt dünnere, die sind bedeutend besser.“ Beate Pogorzelsky hat auf beiden Augen ein Restsehvermögen von unter fünf Prozent. Obwohl sie alles mit einem Tunnelblick wahrnimmt, geht sie gerne in Museen und ist eine begeisterte Theaterbesucherin. „Dabei sein ist alles“, sagt sie.

Gerade untersucht sie auf den Knien die „Lichtprobe“ des deutschen Künstlers Hermann Pitz. Ein simpler Holztisch, acht Lampen strahlen auf dem Boden liegende ovale Kunstharz-Tropfen an. „Bitte die Formen nicht verschieben, nur berühren“, mahnt Thomas Janzen. Währenddessen bekommt die sichtlich nervöse Museumsaufsicht einen Schweißausbruch. „Anfassen erlaubt“ ist für sie eine extrem ungewohnte Situation.

Die unverleimte Holzstruktur der „Convex Ash Pyramid“ des minimalistischen Künstlers Carl Andre ist gefährlich locker geschichtet. „Bloß nicht ruckeln“, warnt Janzen. „Nicht, dass uns alles zusammenkracht.“ Hans Michalsky lässt seine Hand von Freundin Ingrid Vervoort über das Eschenholz führen. Von rechts nach links, von oben nach unten. „Wie eine Pyramide in Stufen“, ist sein Eindruck. „Wie ein Scheiterhaufen“, lautet ein anderes Urteil. Alle lachen und begeben sich nach draußen. „Mit den Skulpturen im Außenbereich können wir ganz unverkrampft umgehen“, freut sich Thomas Janzen. Hier ist das Anfassen ausdrücklich allen Besuchern erlaubt.