Reportage Theaterplatz in Krefeld: Ein Tag zwischen Drogenszene und Ordnungsdienst
Krefeld · Ordnungsdienst und Szene stehen sich vor dem Seidenweberhaus in Krefeld täglich gegenüber. Je mehr Alkohol oder Drogen im Spiel sind, umso gereizter die Stimmung. Eine Reportage.
Viele Tage haben die Mitarbeiter des Kommunalen Ordnungsdienstes und die Krefelder Drogenszene miteinander und gegeneinander auf dem Theaterplatz verbracht. An diesem frischen Montagmorgen im Frühling beginnt ihre nächste gemeinsame Woche. Um kurz vor acht Uhr fahren Manuel Canter und Andre Reingen mit ihrem Kastenwagen in Signalfarben vor dem Theater vor. Die beiden Männer, zwei Kanten in Warnwesten, steigen aus. Obdachlose, Trinker und Junkies sitzen schon auf der grauen Betonplatte.
„Machen wir die erste Runde?“, fragt der grauhaarige Canter. „Mhm, können wir“, sagt Reingen. Sie stapfen zu den zehn, 15 Menschen am Seidenweberhaus. Ordnungshüter und Unruhestifter begrüßen sich mit einem lauten „Guten Morgen“. Sie kennen sich. Die folgenden Ansagen der Männer in Uniform sind bekannt. „Heben Sie bitte Ihren Müll auf.“ „Nehmen Sie Ihre Fahrräder mit“, „Gehen Sie weg von der Fassade.“ Die Leute sollen nicht vor den Türen des Seidenweberhauses, diesem verwinkelten Betonklotz mit Veranstaltungssaal und Büros, sitzen. Das störe die Mitarbeiter in den Büros, erzählen die Leute vom Ordnungsdienst. Vermutlich ist es auch einfacher, die Gruppe zu beobachten, wenn sie auf der Mitte des Platzes ist. Die meisten schleichen klaglos davon. „Die Stimmung kann sich aber von der einen auf die andere Minute ändern“, sagt Canter.
Einen Ort wie den Theaterplatz gibt es in fast jeder Stadt. Sogenannter öffentlicher Raum, auf den alle Anspruch erheben. Auch die, die in der Gesellschaft nicht wohl gelitten sind, aber auch zur Gesellschaft zählen. Meist sind Bahnhöfe diese Orte, in Krefeld ist es der Theaterplatz. Eigentlich hat er das Potenzial, dass ihn Menschen irgendwann „Aushängeschild“ nennen. Das Theater hat sein gläsernes Portal am Platz, genau wie die Mediothek. Die Grünbeete davor blühen im Frühling. Doch das fällt nur den Wenigsten auf.
Damit sich der Ruf des Areals verbessert, sind Canter und seine Kollegen mit der sogenannten mobilen Wache 365 Tage im Jahr, 12 bis 16,5 Stunden am Tag, vor Ort und überwachen die Drogenszene. „Handeln und Helfen“, nennt die Verwaltung ihre Idee eines modernen Umgangs mit dieser Gruppe. Helfen, das machen beispielsweise Streetworker. Handeln, das ist der Job des Ordnungsdienstes — mit Ermahnungen, Verwarngeldern und zur Not mit Pfefferspray. Es geht um Sicherheit und gefühlte Sicherheit an einem zentralen Punkt der Stadt. Öffentlicher Drogenkonsum, Beschaffungskriminalität, Gewalt — die meisten Krefelder meiden den Theaterplatz deshalb seit Jahren. Regelmäßig lesen sie solche Meldungen in der Zeitung:
„Ordnungsdienst am Theaterplatz angegriffen“
„Festnahmen auf dem Theaterplatz“
„Theaterplatz: Rauschgift in den Blumenbeeten“
Auch an diesem Montag wird eine Schlagzeile aus diesem Milieu auf der Titelseite landen: „Männer bringen Leiche im Auto zum Helios.“ Offenbar starb der Mann an einer Überdosis.
Am Morgen ist das, was im Laufe des Tages Gewissheit werden soll, noch ein Gerücht. Eine schwarzhaarige Frau, die Canter eigentlich vom Gebäude weggeschickt hat, erkundigt sich. Ob er von dem Toten im Auto gehört habe, will die Frau wissen, während sie auf einem Gebäck kaut. Nein, er habe nichts mitbekommen, sagt der 33-Jährige und fragt nach. Die Geschichte bleibt vage, die Polizei ist offenbar informiert. Canter nimmt das alles recht regungslos zur Kenntnis und bittet die Frau, wie alle anderen in die Mitte des Platzes zu gehen. Sie trottet davon, Canter streift blaue Plastikhandschuhe über. Wieder wurden in der Nacht die Metellabdeckungen der Abwasserrinne aus der Verankerung gerissen. Warum? Das weiß Canter nicht so genau. Er hievt sie zurück.
Aus einigen Ecken zieht der Geruch von Urin über den Platz. Müll, Plastikverpackungen und Kippen liegen rum. Canter hat an manchen Tagen schon Glasscheiben voller Kot gesehen. Dieser Morgen ist einer, den er „normal“ nennt. Die Stadtreinigung räumt gleich auf.
Seit 1975 in der Drogenszene
Ab zehn Uhr kommen mehr Menschen auf den Platz. 25 Männer und Frauen hocken auf den Umrandungen der Grünbeete, zuweilen sind es sogar 70. Fünfzehn, zwanzig Meter vom Auto des Ordnungsdienstes entfernt verbringen sie den Tag. Frank Peters, der nicht mit seinem richtigen Namen in der Zeitung genannt werden möchte, gehört zum Milieu. Er starrt zu den Ordnungskräften und raucht selbst gedrehte Kippen. „Ich war schon auf vielen Plätzen. Jetzt wollen die uns eben von hier abschieben“, sagt der 57-Jährige. Mit 13 Jahren sei er an die Nadel gekommen, seit 1975 sei er in der Krefelder Drogenszene unterwegs. Seit drei Jahren gehe er zum Arzt, um sich substituieren zu lassen. Das bedeutet, der Doktor verabreicht Peters eine Alternative zum Heroin. Trotzdem kommt der Mann mit der Kappe und der Jeansjacke jeden Tag auf den Theaterplatz. Zu Hause passiere ja nichts. „Man hat große Erwartungen ans Aufhören“, sagt Peters. Ihm habe es Leere gebracht. Ihm fehle eine Aufgabe, er wolle gerne einer kleinen Arbeit nachgehen. „Die trauen uns nix zu“, krächzt eine Frau neben ihm: „Ich bin seit 25 Jahren abhängig und habe trotzdem meinen Sohn großgezogen.“ Ein anderer kommt vorbei, begrüßt Peters per Handschlag. Ob er das von dem Toten im Auto gehört habe? „Ja, ja.“ Peters möchte nicht darüber reden. Die Pupillen schimmern rot, er blinzelt in die Sonne. Dann klagt er wieder über die fehlende Perspektive für sich und seine Leute.
Also leben sie auf dem Theaterplatz — fast wie die Männer gegenüber.
Ordnungsdienst-Mitarbeiter: Verbringe mehr Zeit auf dem Theaterplatz als zu Hause
Er verbringe mehr Zeit rund um den Theaterplatz als zu Hause, sagt Canter vom Ordnungsdienst und lächelt flüchtig. Er und sein Partner Reingen schlendern über den Platz und in die umliegenden Straßen, vorbei am Theater, den Geschäften und Wohnhäusern — mehrmals pro Schicht. Schließlich hat ihre Arbeit viele der Drogenkranken vom Theaterplatz in umliegende Gassen und Hinterhöfe getrieben. Dort sollen die Ordnungshüter Wildpinkeln oder aggressives Betteln stoppen — und die vielen weiteren Aufgaben des Ordnungsdienstes genauso gewissenhaft erfüllen. Die etwa 20 Mitarbeiter müssen sich laut ihrer Aufgabenbeschreibung eigentlich um das Geschehen auf allen Krefelder Plätzen und Straßen kümmern. Also ziehen sie nebenbei durch Bummelmeilen und schreiben Falschparker auf, schicken schwänzende Kinder in die Schule oder diskutieren mit Menschen, die Müll auf die Straße werfen. Zurück auf dem Theaterplatz können die Sicherheitsleute häufig von vorne anfangen.
Wenn Auseinandersetzungen eskalieren
Canter und sein Partner laufen zurück zu ihrem Wagen. Eine junge Frau und ein junger Mann mit Kapuzen auf dem Kopf hocken schon wieder vor der Fassade des Seidenweberhauses. „Bitte weggehen.“ Sie gehen, der junge Mann streckt die Unterarme zusammengepresst in die Luft als würde er in Handschellen abgeführt. Es ist wie ein ewiger Kreislauf. Canter wirkt wie ein Vater, der einem Kind zum zehnten Mal erklärt, dass es andere Kinder nicht mit Sand bewerfen soll.
Am Auto kann Canter kurz Pause machen. Er trinkt Eistee aus der Flasche und steckt sich eine Zigarette an. „Lunge stärken“, sagt er. Einer der Junkies geht in zerrissener Hose vorbei. „Hallo, macht noch mehr Spaß bei dem guten Wetter oder? Also, wenn man von Spaß reden kann“, ruft er Canter zu. Der grinst kurz. Die Arbeit mache ihm Spaß. Er könne draußen sein, treffe verschiedene Menschen. Lange quatschen kann er aber nicht. Gebrüll schallt über den Platz. Ein Mann und eine Frau schubsen sich. Die Ordnungsdienst-Männer eilen rüber. Die beiden Streitenden lassen voneinander ab. „Bisschen runterfahren“, ruft Canter. Die Frau schreit noch ein paar Sätze. Canter redet ruhig auf sie ein. Dann ist Ruhe. Vor einigen Wochen musste der Ordnungsdienst tatsächlich Pfefferspray einsetzen. Ein Streit eskalierte, Worte halfen nicht mehr. Er kenne das Risiko der Arbeit, sagt Canter.
Dieses Risiko steigt über den Tag. Wenn die Menschen immer mehr trinken, mehr Drogen konsumieren, sind viele gereizt. Wer sich als Fremder ab der Mittagszeit der Gruppe nähert, muss vorsichtig sein. „Hau ab, ich hau dir sofort aufs Maul“, brüllt ein stämmiger Mann dem Reporter entgegen.
Ein junger Mann, hier soll er Simon Lupeck heißen, schiebt sein Hollandrad vorbei. Er würde gerne was erzählen, sagt er leise. Er spricht langsam, wie in Trance und setzt sich auf eine Betonmauer. Seit fünf Jahren nehme er Drogen, habe so seine Zeit nach abgebrochenen Ausbildungen auf dem Theaterplatz verbracht. Kurz stockt er. Zwei Typen mit kurzen Haaren laufen vorbei. „Wisst ihr, wo man Navis verkaufen kann?“, fragt einer. „Ne“, ruft Lupeck und raunt: „Wegen sowas will ich hier weg.“
Er brauche eine Selbsthilfegruppe und einen Betreuer, der auf ihn aufpasse. Diesen Plan fasste er vor einigen Wochen, als er nach mehreren Monaten Haft den Knast verließ. Jetzt ist er trotzdem wieder hier. Wo solle er sonst hin? Lupeck zeigt auf einen SUV, der an der anliegenden Straße vorbei rauscht. „So ein Tiguan ist für mich doch unerreichbar“, sagt er. Ein schmaler Mittdreißiger setzt sich neben Lupeck: „Mit wem sprichst du da? Einer von uns?“ — „Ne, von der Zeitung“ — „Ah dachte schon, das wäre wieder einer von den Bullen“, sagt der Schmale.
Kurz herrscht Ruhe. Dann spricht ein Älterer Lupecks neuen Sitznachbarn an: „Hast du noch zwei Weiße?“ — „Klar.“ Innerhalb weniger Sekunden tauschen sie einen kleinen Beutel und einen Geldschein. Viel zu schnell, als dass die Männer vom Ordnungsdienst aus der Entfernung etwas erahnen könnten. Die anderen trinken und rauchen einfach weiter. Ein paar Passanten huschen zu Fuß oder mit dem Fahrrad schnell vorbei — alles so wie gestern und morgen.