Gymnasium am Neandertal in Alt-Erkrath Erkrather Architektin kritisiert Schulneubau

Erkrath · Ein Widerspruch zum gesetzlich gebotenen, sparsamen Umgang mit Boden, teuer und obendrein wegen einer nahen Hochspannungsleitung für die Gesundheit gefährlich – Sukhman Kaur kann nicht nachvollziehen, warum das Gymnasium am Neandertal auf einem Acker neu gebaut und nicht saniert wird.

Architektin Sukhman Kaur wohnt in der Nähe des Bauplatzes.

Foto: Köhlen, Stephan (teph)/Köhlen Stephan (teph)

(hup) Sukhman Kaur weiß, dass ihr schöner Ausblick sie angreifbar macht, sehr angreifbar sogar. Von ihrem Haus am Heiderweg aus blickt sie direkt auf den derzeit noch bewirtschafteten Acker unterhalb der A3, auf dem das Gymnasium am Neandertal neu gebaut wird, nur wenige Meter vom jetzigen Standort Heinrichstraße entfernt. Das hat der Stadtrat, der zwischen Neubau und Sanierung mit Erweiterungsbau wählen konnte, so beschlossen, im Einklang mit der Schulkonferenz. Die dazugehörige Planung läuft, das Grundstück wurde bereits vermessen, wie Kaur beobachtet hat.

„Ja, natürlich möchte ich mir die tolle Aussicht ins Grüne nicht verbauen lassen. Aber ich würde auch nicht anders argumentieren, wenn ich hier nicht wohnen würde“, sagt Sukhman Kaur. Und Argumente hat die Architektin, die bei einem großen Konzern arbeitet und regelmäßig Sanierungsprojekte bei laufendem Betrieb betreut. Sie wisse daher, dass eine – parallel zur Ertüchtigung eines alten Gebäudes betriebene – Schadstoffsanierung, wie sie im asbestbelasteten Gymnasium anstünde, heute alltäglich und kein Hexenwerk sei.

Ganz grundsätzlich fragt sie sich, ob in Erkrath nicht eine unzeitgemäße Stadtplanung betrieben werde. Der Klimawandel erfordere ein Umdenken, müsse in allen Lebensbereichen berücksichtigt werden, gerade auch bei langfristigen Entscheidungen der Stadtplanung. Um Nachhaltigkeit in Form von Ressourcenschonung für kommende Generationen gehe es, wenn von weniger Verkehr, weniger Flächenverbrauch und weniger Flächenversiegelung die Rede sei. Erkrath gehe aber den gegenteiligen Weg, meint Kaur – mehr Verkehr, mehr Flächenverbrauch, mehr Flächenversiegelung.

Vorhaben steht im Widerspruch zum Baugesetzbuch

Dies zeige der geplante Schulneubau auf der grünen Wiese, einem bislang unerschlossenen Acker neben der offenen Düssel. Das Vorhaben stehe im Widerspruch zu den Grundsätzen des Baugesetzbuchs, das Kommunen zum sparsamen Umgang mit Grund und Boden auffordere. Die Möglichkeiten der Entwicklung einer Gemeinde durch Wiedernutzbarmachung von Flächen und Nachverdichtung sollten geprüft und Bodenversiegelungen „auf das notwendige Maß“ begrenzt werden.

Der für eine Bebauung ungeeignete Lehmboden-Acker müsse erst aufwändig ertüchtigt werden, um ein Schulgebäude zu tragen, dessen Besucher dann durch die parallel verlaufende A 3 erheblich mehr Lärm ausgesetzt wären als im Altbau. „Selbst beim Einbau von nicht zu öffnenden Schallschutzfenstern mit kontrollierter Be- und Entlüftung bleiben jedenfalls die Pausenhöfe und Freiflächen ungeschützt“, sagt Sukhman Kaur.

Ein weiterer Kernpunkt ihrer Kritik: Über den Bauplatz verläuft eine 110-Kilovolt-Hochspannungsgleitung, die gesundheitliche Risiken berge. Dies sei einem Gutachten vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestags aus dem Jahre 2019 eindeutig zu entnehmen. „Deshalb lautet auch eine baubiologische Faustregel für den Abstand zu Hochspannungsleitungen: Ein Meter je Kilovolt Spannung“, sagt Kaur. Ihr zufolge liegen aber mehr als zwei Drittel der geplanten Schulfläche im kritischen Abstandsbereich von 110 Metern um die Hochspannungsleitung. „Deshalb müsste ich als Architektin, wäre ich mit einer Bebauungsplanung befasst, auch auf die Ungeeignetheit des Grundstücks hinweisen. Andernfalls müsste ich mich auf Schadenersatzansprüche gefasst machen“, sagt Kaur.

In den Nachbarländern Dänemark, Belgien und den Niederlanden wäre ihr zufolge ein Schulneubau an dieser Stelle unzulässig. Auch Hessen und Bayern erlaubten die Errichtung von Schulen neben einer Hochspannungsleitung wegen der gesundheitlichen Risiken nicht mehr. Es sei zu erwarten, dass NRW nachziehe. „Dann wäre der Neubau, sehenden Auges trotz dieser Gefahren errichtet, nur noch aus Bestandsschutzgründen nutzbar.“

Es sei kein Problem, die bauliche Qualität der alten Schule durch Sanierung auf Neubauqualität zu heben. Dies habe den Vorteil der exakten Kalkulationsgrundlage, da Flächen und Massen bekannt seien. Der Kostenaufwand wäre deutlich geringer und berechenbarer, meint Kaur, und ergänzt: „Solche Arbeiten laufen bei guter Planung und der Nutzung von Ausweichflächen für die Schüler (nicht nur Container) unter bestmöglichen Bedingungen ab. Das ist heute Standard. Der Traum vom modernen Schulgebäude würde verwirklicht, aber ohne Gesundheits-Risiken für die Nutzer.“

Ihre Kritik hat zumindest die Grünen dazu bewogen, im Bauausschuss bei der Verwaltung nachzufragen, wie man mit der Hochspannungsproblematik umgehen wolle. Die Frage sei nicht sehr willkommen gewesen. Eine Antwort stehe noch aus.