Die Camper beenden den Winterschlaf
Der Campingplatz am Unterbacher See erwacht aus dem Winterschlaf. Der Blick auf den See stillt das Fernweh direkt vor der Haustür.
Unterbach/Erkrath. In Unterbach gibt es eine Straße mit dem schönen Namen „Am Seeblick“. Sie ist erhöht gelegen, führt durch eine friedliche, von Vogelgezwitscher erfüllte Wohnsiedlung, in der es gut duftet und die Magnolien blühen. Ein Haus jedoch mit Blick auf den Unterbacher See, Luftlinie höchstens 300 Meter entfernt, suchte ich vergebens. Ich sprach eine ältere Frau an, die mit einer Getränkekiste aus einer Garage trat, in welchem Haus man wohnen müsse, um Seeblick zu haben. „Wir haben alle keinen“, sagte sie. Die Bäume am Ufer des Sees seien zu hochgewachsen. Ein paar Meter weiter, im „Seeweg“, das gleiche Bild: Ich sah so manches, etwa eine Firma, die auf einem Fenster mit dem kryptischen Spruch „Bringing Quality to Light“ warb. Den See aber sah ich nicht.
Eine meiner schönsten Kindheitserinnerungen hat mit einem Sommerurlaub zu tun. Ich war elf oder zwölf, und wir besuchten die Familie meines Vaters am österreichischen Wolfgangsee. Die Familie besaß dort nicht nur eine Ferienwohnung mit Seeblick, sondern auch ein altes, aus dunklem Holz gebautes, unbezahlbar wertvolles Bootshaus direkt am See und mit großem Balkon. Das Geländer war so breit und stabil, dass wir Kinder uns drauflegten, in der Sonne aalten und, wenn uns die Lust überkam, einfach zur Seite rollten und ins Wasser plumpsen ließen; man brauchte nicht mal die Augen aufzumachen, höchstens um sicherzugehen, dass man keiner Ente auf den Kopf fiel. Einer der tollsten Sommer überhaupt. Ich weiß heute noch, wie sich die Rolle seitwärts mit anschließendem Aufklatschen, quasi Seitfallklatscher, anfühlt. Seit diesem Sommer ist es für mich ein Inbegriff des guten Lebens, am See zu leben.
Ich war nur kurz desillusioniert, dass es in der Straße mit dem — unter allen Düsseldorfer Straßen — verheißungsvollsten, weil nach Sommer, Sonne und Sorglosigkeit klingenden Namen kein Haus mit Seeblick geben soll. Das ist leider oft so, dass Namen mehr versprechen, als sie erfüllen. Außerdem war ich in Gedanken schon auf dem Weg nach Österreich, was ich daran merkte, dass ich auf den Abfalleimern nicht Awista las, sondern Austria. Ich lief hinunter zum Nordstrand, zu Fuß nur wenige Minuten entfernt, und war kaum überrascht, vor dem unmittelbar am See liegenden „Sehrestaurant“ einen dieser silbernen US-Airstream-Wohnwagen zu entdecken, der in großen Buchstaben für den Eventcaterer „Alpendiner“ warb. Wozu Österreich, wenn man Unterbach haben kann? Es war gegen Mittag, die Sonne schien, die Restaurantterrasse prächtig gefüllt. Viel Hefeweizen auf den Tischen, Kaffee, Essen, Wein, Gelächter. Die Terrasse betreten und in Ferienlaune sein war eins. Instantferien, made in Unterbach. Kein Wunder, dass die ersten älteren Herren es sich nicht verkneifen konnten, ihren bloßen und schon erstaunlich gebräunten (wenn auch nicht gestählten) Body zu zeigen.
100 Königsalleen gäbe ich dafür her, am Wasser leben zu können. Wie es aussieht, geht es aber auch einfacher. Und günstiger. Neben dem Restaurant erstreckt sich ein Campingplatz. Ich kann nur wärmstens empfehlen, über einen Campingplatz zu spazieren, wenn die Saison kurz bevorsteht. Dutzende Wohnwagen mit Vorzelt waren dort geparkt, noch fast alle im Winterschlafmodus. Die Jalousien beinahe ausnahmslos heruntergelassen. Kaum ein Mensch unterwegs. Fahrräder für die ganze Familie, eng aneinandergekettet. Hollywoodschaukeln, ungepolstert. Ich liebe solche Stillleben.
Die Wohnwagen hatten Namen wie „Stern de Luxe“, „Weltbummler“, „Adria“ und „Diamant“. Okay, es gab auch ein paar Modelle, auf denen nur „Dethleffs“ stand. Das änderte aber nichts daran, dass es sich um künftige kleine Ferienidyllen handelte, dicht an dicht. Ferienerwartungsland. Ich wanderte kreuz und quer. Wenn man sich Ferien dringend wünscht, und das tue ich an ungefähr 365 Tagen im Jahr, dann gibt es kaum etwas Besseres, als über Ferienerwartungsland zu spazieren — es strahlt die unbedingte Sicherheit aus, dass der nächste Urlaub kommt.
Wozu ein Haus mit Seeblick, wenn man auch einen Wohnwagen mit Seeblick haben kann? Eine Familie machte sich an einem Wohnwagen mit Vorzelt zu schaffen. Räumte Dinge rein, räumte Dinge raus. „Na, schon beim Einläuten der Ferienzeit?“, fragte ich im Vorbeigehen. Die Mutter, redselig: „Das ist unsere erste Saison hier. Wir sind aus Dormagen, haben den Wagen, das Vorzelt und alles, was drin ist, gerade erst gekauft. Im Internet gesehen — sofort zugeschlagen. Alles zusammen nur 4 000 Euro.“ Ich: „Wow! Und jetzt ist der Urlaub für die nächsten 40 Jahre gebucht?“ Sie, während ihre Tochter, die im Teenageralter war, zu ihr trat: „Na ja, unsere Kinder wollen vielleicht auch mal etwas anderes sehen.“ Tiefenentspannt lief ich weiter. Wollte mich am liebsten setzen. Auf jedem Campingplatz gibt es Unmengen von Plastikstühlen und -bänken. Vor jedem Wagen, an jedem Vorzelt. Campingplatzurlauber kommen, um zu sitzen. Mehr braucht es nicht. Das einfache Leben.
Es gibt übrigens eine noch günstigere Lösung als die Sache mit dem Wohnwagenkauf. Vor wenigen Tagen startete am Unterbacher See der Bootsverleih. Er hat unter anderem eine „Saison-Mietjolle“ im Angebot, für schlappe 1200 Euro. „Segeln von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang“, lautet das Werbeversprechen. Genau mein Ding. Ein eigener Liegeplatz ist sogar inbegriffen. Womit kein Liegestuhl am Grill gemeint ist, was zwar auch schön wäre, sondern einer für die Jolle.
Kleine Einschränkung: „Kein Kranen, kein Slippen“. Wozu Wohnwagen am See, wenn man auch eine Jolle auf dem See haben kann? Jetzt muss ich nur noch herausfinden, was Kranen und Slippen heißt. Und, ach ja, segeln lernen.