Katholiken gestalten Gemeinde neu
Pfarrer Nieswandt brachte von einer Auslandsreise neue Ideen mit. Er startet jetzt ein Experiment in der Nachbarschaft.
Haan. „Die Volkskirche geht nicht zu Ende, sie ist am Ende.“ Das hat kein geringer als Felix Genn, Bischof von Münster, festgestellt. Weil immer mehr Priester fehlen, werden immer mehr Gemeinden zusammengelegt. „Der Verlust an hauptamtlichen Personal wird sich in den kommenden Jahren noch verstärken“, glaubt Reiner Nieswandt, leitender Pfarrer in Haan und in Hilden.
Was tun? Gesundschrumpfen? Keine gute Idee findet Nieswandt: „Dies würde letztlich dazu führen, dass Kirche sich zur Sekte (soziologisch betrachtet) entwickelt.“ Mehr „Service“ bieten? Auch das sei zum Scheitern verurteilt, weil der Aufwand (Geld und Personal) zu hoch sei. In Gruiten wird gerade etwas anderes ausprobiert: christliche Nachbarschaftsgruppen. „Wir wollen das in Gruiten versuchen, weil Nachbarschaft dort sehr ausgeprägt ist“, erläutert Nieswandt. „Es ist ein Experiment. 40 bis 50 Interessierte haben sich zusammengefunden und überlegen gemeinsam, was wir machen können.“
Wie ein von christlichen Nachbarschaften geprägtes, lebendiges Glaubensleben aussehen könnte, hat der Pfarrer gerade erlebt. Vor Weihnachten war er gemeinsam mit 17 Mitarbeiter des pastoralen Dienstes aus dem Erzbistum zweieinhalb Wochen auf den Philippinen. Dort betreut ein Priester 20 000 bis 30 000 Gläubige. Und trotzdem funktioniert das Gemeindeleben.
Eine Szene ist dem Seelsorger besonders in Erinnerung geblieben: „Bischof Gerardo Alminaza von San Carlos betete mit Kindern und Jugendlichen. Er kam nicht von oben herab. Er stand mitten unter ihnen und trug ein einfaches T-Shirt mit der Aufschrift: Think outside the box (auf Deutsch: anders denken).“ Bei uns hänge das Funktionieren einer Gemeinde zu sehr vom Pfarrer ab, so die Erfahrung von Reiner Nieswandt: „Davon müssen wir uns befreien.“ Das sieht sein mitgereister Amtsbruder Markus Hoitz aus Königswinter im „Domradio“ ganz genau so: „Wir sprechen von Gemeinde, wenn wir eine Kirche und einen Priester haben. Auf den Philippinen sprechen die Menschen von Gemeinde, wenn sie in einer Nachbarschaft Glauben und Leben teilen.“
Natürlich lässt sich das katholische Gemeindeleben auf den Philippinen nicht so ohne weiteres auf Deutschland übertragen. Das weiß auch Reiner Nieswandt. Dennoch hat er viel Inspiration für seine Arbeit mitgenommen: „30 Prozent der Menschen dort sind wirklich arm. Mich hat ihre Offenheit und Gastfreundschaft sehr beeindruckt. Ich habe mich sofort zu Hause gefühlt.“
Über die ersten Erfahrungen mit christlichen Nachbarschaftsgruppen berichtet Nieswandt am Freitag, 26. Januar, um 19.30 Uhr in der Stadtbücherei Hilden (Nove-Mesto-Platz 3) — mit einem Vortrag im Rahmen der Reihe „Anstoß“ (Eintritt frei, Spenden willkommen).
Er leitet seit sieben Jahren die Gemeinde Haan und seit 15 Monaten auch noch die Gemeinde Hilden. Der 55-Jährige zieht legere Kleidung der Soutane vor. Der promovierte Theologe (bei den Franziskanern machte er eine Schreinerlehre) sieht sich nicht als „Hirte“ seiner „Schäfchen“.
„Die Kernaufgabe der professionellen Seelsorger sehe ich heute vor allem darin, die Menschen zu ermutigen, zu befähigen und zu begleiten, ihre eigenen Wege im Glauben zu entdecken“, sagte er kürzlich: „Alles andere führt zur Entmündigung der Menschen und ist — auch angesichts immer knapper werdender Ressourcen — nicht zukunftsfähig.“