Landgerich Wuppertal „Münchhausen“ vor Gericht
Mettmann. · Der Angeklagte ergaunerte mit falscher Identität und vorgetäuschten Symptomen einen teuren Krankenhaus-Aufenthalt und vieles mehr.
Der Angeklagte humpelte zu seiner Berufungsverhandlung auf Krücken in den Saal. Ein Oberschenkelhalsbruch – zugezogen auf der Quarantänestation der Justizvollzugsanstalt. Dort sitzt Bernd U. hinter Gittern, seit er im Frühjahr vom Amtsgericht wegen Betrugs zu vier Jahren Haft verurteilt wurde. Zuvor hatte er sich jahrelang in Krankenhäuser einliefern lassen, ohne wirklich krank zu sein. Er logierte als Privatpatient, ließ sich vom Chefarzt behandeln und verschwand, bevor man ihm die Kosten in Rechnung stellen konnte.
Ins Evangelische Krankenhaus war der „Patient“ als Notfall gekommen. Die Diagnose hatte er gleich selbst gestellt: Irgendwas mit dem Herz. Noch bevor sich ein Kardiologe die Sache hatte genauer anschauen können, war Bernd U. schon wieder weg. Bevor er sich selbst entließ, hatte er noch zwei seiner Mitpatienten um den Inhalt ihrer Geldbörse gebracht. Einem weiteren Patienten hatte er die Telefonkarte gestohlen, um sich den Restbetrag am Automaten auszahlen zu lassen.
Als das Krankenhaus die Kosten für die Rundum-Versorgung des Privatpatienten samt Chefarztbehandlung von dessen Versicherung zurückholen wollte, wurde klar: Der Mann hatte dort unter falschem Namen eingecheckt. Bei der Versicherung kannte ihn niemand. Es folgte eine Anzeige wegen Leistungskreditbetrug bei der Mettmanner Polizei.
Dort soll es auch ein Video geben, dessen Brisanz erst später offenkundig wurde. Eine Überwachungskamera hatte Bernd U. im Sommer 2018 gefilmt, als der sich im Krankenhaus-Foyer das Restguthaben von der gestohlenen Telefonkarte hatte auszahlen lassen. Das Phantom bekam plötzlich ein Gesicht – denn Bernd U. war schon seit Jahren mit dieser Masche unterwegs. Er hatte nicht nur Patienten bestohlen und sich falsche Identitäten erschlichen, sondern sich auch noch unter falschem Namen beim Versandhandel georderte Waren in die Klinik liefern lassen.
Eines seiner Opfer war Heinrich Traue aus Minden, der noch immer mit den Folgen des Identitätsdiebstahls zu kämpfen hat. Jahrelang kamen bei Traue immer wieder Pakete an, die Bernd U. wegen seiner zuweilen überstürzten Flucht aus den Krankenhäusern dort nicht mehr zugestellt werden konnten. Der Mindener soll vom Krankenbett aus mit Sex-Hotlines telefoniert und eine Brille für 1000 Euro bei Fielmann bestellt haben.
87 Gläubiger wollen
mehr als 210 000 Euro
Mittlerweile gebe es 87 Gläubiger, die 212 000 Euro von ihm eintreiben wollten. Ein Inkassounternehmen habe die unbezahlte Mitgliedschaft auf einem Erotik-Portal angemahnt – und ja, zu einem Doktortitel habe ihm der Identitätsdieb auch noch verholfen.
Derweilen scheint Bernd U. weiter durch die Republik getingelt zu sein, um sich nach vermeintlichen Zusammenbrüchen auf Privatstation einliefern zu lassen. Knochenkrebs, Herzinfarkte und zwei Schlaganfälle? Glaubt man dem vom Gericht beauftragte psychiatrischen Gutachter, stimmt davon nichts. Wie die Diagnosen in den Krankenakten immer weiter fortgeschrieben werden konnten bis hin zur Annahme, der vermeintliche Patient leide an Krebs und seine Tage seien gezählt?
All das habe der Angeklagte mit simulierten Krankheitssymptomen und Einweisungen in Krankenhäuser selbst vorangetrieben. Seine angebliche Drogensucht, wegen der ihn die Rentenversicherung von einem zwischenzeitlichen Haftaufenthalt in eine Entzugsklinik hatte schicken wollen? Und wegen der er nun im Knast im Methadonprogramm gelandet sei? Auch die stehe zwar in den Akten, sei aus gutachterlicher Sicht jedoch keineswegs durch medizinische Befunde belegt. Stattdessen attestierte der Sachverständige dem notorischen Simulanten ein „Münchhausen-Syndrom“.
Und dennoch – Bernd U. lässt nicht locker. Nun also seine Berufung beim Wuppertaler Landgericht, die er vor allem eingelegt habe, um seine Strafe in einer Entziehungsmaßnahme absitzen zu dürfen. Der Richter schüttelte den Kopf – dafür sei die Kammer nicht zuständig. Gerne hätte der Angeklagte wohl auch noch über seinen Oberschenkelhalsbruch und den Aufenthalt im Justizkrankenhaus in Fröndenberg geplaudert. Endlich mal eine Diagnose, an der es nichts zu rütteln gibt – aber dann ging alles ganz schnell und Bernd U. nahm seine Berufung zurück.