Krieg in der Ukraine „Meine Eltern sind in Gefahr“
Ratingen · Olena Tietz ist in einem Vorort von Kiew aufgewachsen. Sie bangt um Freunde und Verwandte.
An einen ruhigen Schlaf ist seit dem 24. Februar für Olena Tietz nicht mehr zu denken. Sie ist in einem Vorort von Kiew geboren und aufgewachsen, lebt aber seit vielen Jahren in Deutschland. Doch die Verbindungen sind eng. „Meine Familie, Freunde und Verwandte leben in der Ukraine. Ich besuche sie regelmäßig“, so Tietz. Das letzte Mal war sie im September dort: „Es war ein normales, friedliches Leben in einer schönen, europäisch gefärbten Stadt. Die Menschen waren mit ihrem Leben zufrieden“, erinnert sie sich. Seit einigen Tagen ist alles anders.
„Meine Eltern und Verwandten sind in Gefahr“, so Olena Tietz. Beinahe rund um die Uhr steht sie mit ihnen in Kontakt. Über Telefon und WhatsApp erhält sie aktuelle Nachrichten. Es sei nicht kalkulierbar, was Putin vorhabe. Der Krieg werde auf allen Ebenen geführt – wirtschaftlich, mit Falschinformationen und militärisch. „Es werden zivile Objekte bombardiert: Kindergärten, Waisen- und Krankenhäuser und Wohnsiedlungen.“ Die Versorgungslage wird täglich schwieriger. Supermärkte haben nur noch sehr begrenzt geöffnet, werden dann aber von russischen Truppen gestürmt und geplündert, hat Tietz erfahren. Auch Benzin ist immer schwerer zu bekommen.
Ihre Eltern versuchen sich, so gut es geht, über die aktuelle Lage zu informieren, tauschen sich mit Nachbarn aus, versuchen Vorräte anzulegen. Die Schule, in der die Mutter arbeitet, ist geschlossen. Gehen wollen die Eltern nicht. „Viele Menschen mit kleinen Kindern verlassen das Land, andere wollen bleiben“, so Tietz. Die meisten versuchen noch immer, die Lage zu erfassen: „Alle wussten, dass es kein Spiel ist, wenn Russland Truppen verlegt, aber keiner hat geglaubt, dass ein Angriff in diesem Ausmaß möglich ist.“ Im Osten der Ukraine habe man mit Konflikten gerechnet, nicht aber mit einer flächendeckenden Invasion.
Freunde und Verwandte verfolgen russische Nachrichten
Die meisten Freunde und Verwandten von Olena Tietz verfolgen auch die russischen Nachrichten und sind erschüttert: „Die Informationen entsprechen nicht den Tatsachen.“ Russische Truppen würden Ziele im Donbass bombardieren und dies dann der Ukraine zuschreiben, die Nato greife Russland an, werde dort propagiert. Tietz erfuhr auch, dass sich russische Soldaten in ukrainischen Uniformen unter die gegnerischen Truppen mischen, um dort gezielt zu töten.
Unfassbar für viele Bürger: „Bis 2014 haben wir Russen als unsere Brüder und Schwestern empfunden.“ Tatsächlich habe die Annektierung der Krim in der Ukraine für ein neues Nationalgefühl gesorgt. Die Menschen stünden mehr zusammen, denn je. „Ukrainische Soldaten sind sehr tapfer und erhalten viel Unterstützung aus der Bevölkerung“, erfuhr Tietz. Und das, obwohl die Situation in einigen Städten unerträglich sei: „Es wird bombardiert, es brennt an vielen Stellen. Die Menschen haben Angst.“
„Es ist kaum zu glauben, dass am 23. Februar noch alles in Ordnung war. Putin hat Krieg und Zerstörung in die Ukraine gebracht. Niemand weiß, wie weit er gehen wird. Es gibt keine Zeichen, die auf Entspannung hindeuten.“ Olena Tietz ist angespannt. Helfen kann sie aus Deutschland kaum. Sie schickt Geld an ihre Familie, besucht Demonstrationen und redet mit vielen Menschen, um auf die Situation aufmerksam zu machen. Alles überschattet von der Angst um ihre Familie. Zur Flucht überreden, will sie ihre Eltern nicht. Der Weg zur Grenze sei weit und voller Gefahren. So bleibt ihr und ihrer Familie nur die Hoffnung, dass sich die Lage stabilisiert.