Neviges „Zahl der Stolpersteine ist zu gering“
Neviges. · Rainer Köster gab im Awo-Stadtteiltreff Einblicke in sein Buch über die Nazi-Zeit in Neviges.
Vor mehr als 40 Jahren hat Rainer Köster mit den Vorbereitungen zu seinem Buch über „Neviges im Dritten Reich“ begonnen. „2004 wurde das Buchvorhaben wegen beruflicher Belastung aufgeschoben“, so der inzwischen pensionierte Lehrer, der jetzt seine Nachforschungen weitgehend abgeschlossen hat. Das Werk, das sich mit Widerstand und Verfolgung in Neviges zwischen 1933 und 1945 beschäftigt, soll um den 8. Mai erscheinen. Bevor der Velberter Historiker und Kreistagsabgeordnete der Linken im Awo-Stadtteiltreff eine erste Leseprobe gab, griff er zur Gitarre und sang Lieder des Widerstands: „Viele Nazi-Gegner und -Opfer haben ihr Schicksal in Lieder gegossen.“
An die Verlegung der sieben Stolpersteinen in Neviges, die an die Schicksale jüdischer Menschen erinnern, hatte Rainer Köster einen Anteil, aber es müssten mehr werden: „Es sind noch 20 weitere zu verlegen, vieles ist nicht bewältigt worden.“ Nicht immer wurden Menschen mit jüdischer Herkunft von den braunen Machthabern ermordet, ihnen gelang die Auswanderung, aber sie wurden nach dem Krieg drangsaliert und konnten ihre Ansprüche nicht durchsetzen. So wie Dr. Levi Windmüller, ein angesehener Arzt in Neviges, der 1939 nach Uruguay emigrierte und nach dem Krieg nach Deutschland zurückkehrte und verarmte.
In einem Brief an den ersten Präsidenten der Bank Deutscher Länder, Karl Bernard, schilderte er, dass er 100 000 Reichsmark an Auswanderungssteuer gezahlt hatte, in Montevideo durfte er als deutscher Mediziner nicht praktizieren und lebte nach Wiederkehr in beschränkten Verhältnissen. „Es kamen äußerst bescheidene Beiträge, da werde ich aber im Stadtarchiv nachforschen“, stellte Köster fest, der nicht weiß, warum der Stadtrat bisher keine Straße nach Windmüller benannt hat.
In Wuppertaler Prozessen wurden auch viele Nevigeser angeklagt
Als heute vor genau 87 Jahren die Nationalsozialisten die Macht ergriffen, war im Bergischen der Widerstand aus den Reihen der KPD, der Sozialdemokraten und Gewerkschafter groß. In den sogenannten Wuppertaler Prozessen wurden auch viele Nevigeser angeklagt und zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, teilweise kamen sie ins KZ Auschwitz. Eine der führenden Figuren des Arbeiterwiderstandes war August Meinert, der bereits gegen den Kapp-Putsch kämpfte und nach dem Krieg die IG Metall in Velbert mitgründete. Nicht alle von den Nationalsozialisten Verfolgten wurden angeklagt und verhaftet, so wie Emil Uesseler (KPD), der nach dem Ende des Krieges durch die Engländer zum Bürgermeister der Stadt Neviges ernannt wurde. Vor dem Jahr 1933 waren die Kommunisten die stärkste Partei in Velbert.
Nach der Machtübernahme der Nazis kam es zu Razzien: „In der ,Nacht der langen Messer’ wurden die Gaststätte Sandkühler, das Stammlokal der KPD, sowie zahlreiche Wohnungen durchsucht. Die braunen Machthaber gingen nicht nur gegen die Linken vor, sondern auch gegen den Widerstand in christlichen Kreisen. Wegen des Klosters wurden in Neviges „Flaggenvergehen“ verfolgt, wenn verbotenerweise kirchliche Fahnen gehisst wurden.
Glimpflich kam der evangelische Pfarrer Maiwald davon, der den „Mölders-Brief“ vorlas, ein vom britischen Geheimdienst lanciertes Schriftstück, in dem der hochdekorierte Jagdflieger Werner Mölders sich aus christlichen Beweggründen vom Nationalsozialismus distanzierte.
Zum Schluss seiner Ausführungen wurde Rainer Köster persönlich: „Ich hätte mir nie vorstellen können, dass diese Kräfte mal wieder ans Ruder kommen. Wir müssen alles dagegen mobilisieren, wie 2010, als 2000 Menschen in Neviges gegen einen NPD-Aufmarsch demonstrierten: Nevigeser sind keine Nazis.“