Ein Fünkchen mehr Wahrheit

Im Sommer berichteten verschiedene Medien über ein Pilotprojekt der Deutschen Post: Ausgewählte Kunden willigten ein, dass sie für einen Testzeitraum nicht mehr jeden Werktag Briefe zugestellt bekommen.

Sie testeten die sogenannte Sammelzustellung an einem, drei oder fünf Werktagen pro Woche.

Der Konzern aus Bonn versicherte damals, dass es sich um einen Test handele und keineswegs klar sei, ob aus dem Pilot Realität wird. Schließlich ist die frühere Bundesbehörde und heutige Aktiengesellschaft, an der die öffentliche Hand immer noch Anteile hat, gesetzlich zur Briefzustellung an sechs Tagen pro Woche verpflichtet.

Ein sinkendes Briefaufkommen und gleichzeitiger Kostendruck dürften aber schon längst dazu geführt haben, dass die gesetzliche Zustellpflicht nicht immer eingehalten wird. Aus dem sommerlichen Test ist in verschiedenen Regionen schon Realität geworden. Derzeit zum Beispiel in Kempen.

Ob es nun die neuen Strukturen der Verbundzustellung oder ein hoher Krankenstand ist — aus welchem Grund auch immer kommt die Deutsche Post in Kempen und anderen Kommunen ihrer gesetzlichen Pflicht nicht nach. Das mag bei Werbebriefen für den Kunden noch nicht so schlimm sein. Bei Behördenbriefen und vertraglichen Schreiben, mit denen Fristen verbunden sind, wird die Sache für die Kunden aber schon ärgerlich.

Es ist deshalb an der Zeit, den Postkunden reinen Wein einzuschenken. Der Gesetzgeber muss die werktägliche Zustellpflicht abschaffen. Gleichzeitig muss der Konzern geeignete Zustellmodelle entwickeln, die den Bedürfnissen von Unternehmen, Behörden und Bürgern im 21.Jahrhundert standhalten.

Die Probleme laufen zu lassen und zu hoffen, dass es so wenig wie möglich Kunden mitbekommen, darf jedenfalls nicht länger der Weg sein, die Misere einzudämmen. Kunden, aber auch die Zusteller oder Pressesprecher der Deutschen Post, die am allerwenigsten etwas für die Probleme können, haben ein Fünkchen mehr Wahrheit verdient.