Im Niederrheinischen Freilichtmuseum Mittelaltermarkt lockt Besucher nach Grefrath
Grefrath · Auf dem Gelände des Niederrheinischen Freilichtmuseums in Grefrath erlebten Besucher Geschichte zum Anfassen: Spielleute, Gaukler, Ritterlager und Markttreiben begeisterten.
In den gewaltigen Kesseln, die am Lager des Wikingerhorstes Oberhausen über Feuerschalen hängen, blubbert es kräftig. In einem Kessel sind mehrere prall gefüllte Stoffsäcke im heißen Wasser zu sehen. In einem zweiten Kessel schwimmt ein großes Stück Tuch aus Schurwolle. „In den Säckchen befinden sich Resedapflanzenstücke. Die Pflanze sorgt für ein starkes Gelb, mit dem wir den Schurwollstoff gleich färben“, sagt Silvia Schnell.
Mit einem langen Holzlöffel beginnt Schnell unter den neugierigen Augen der Zuschauer, die sich um ihren Stand am Haus Waldniel im Niederrheinischen Freilichtmuseum versammelt haben, die Stoffbeutel herauszufischen. Danach ist das Stoffstück an der Reihe, das ausgewrungen wird. „Das Tuch lag in einer Beize aus Alaun. Die Salzkristalle des Alauns hängen in den Wollfasern und ermöglichen uns das Färben, da die Farbpartikel an den Kristallen hängenbleiben“, erklärt Schnell.
Stück für Stück bringt sie den Besuchern das Handwerk des Färbens näher, wie es schon im Frühmittelalter praktiziert wurde. Aber nicht nur hier sind alte Handwerkstraditionen zu erleben. Im Freilichtmuseum ist Mittelaltermarkt, und die Besucherinnen und Besucher tauchen ein in eine andere Welt. Beim Sarwürker, der im Mittelalter für das Herstellen der Kettenpanzer zuständig war, bestimmen Kettenhemden, -handschuhe und -hauben das Bild. Mit Erstaunen erfahren die Besucher, dass in einem Kettenhemd 20 000 bis 30 000 einzelne Ringe verarbeitet werden. „In der Kindergröße sind es 9000“, berichtet Sarwürker Gerd.
Nicht nur die Kinder sind neugierig und schlüpfen einmal in Hemden, Hauben und Handschuhe. Einmal selbst die Kneifzange in die Hand nehmen und Ringe von der gedrehten Feder schneiden, diese mit zwei Kombizangen aufbiegen, mit einem weiteren Ring verbinden und wieder schließen – das zeigt, wie aufwendig dieses Handwerk ist. 150 Arbeitsstunden stecken in einem Hemd, informiert Gerd, der noch etwas ganz Besonderes zeigt: Er hat das wahrscheinlich kleinste Kettenhemd der Welt dabei. Sieben Zentimeter lang, besteht es aus 648 Ringen, die aus einem 0,6 Millimeter dünnen Silberdraht gefertigt sind.
Begeisterung löst bei Hannelore Kanthak und Bärbel Wellmann von „Beaux Chapeaux“, dem Stand mit den historischen Kopfbedeckungen, ein Jagdhut mit Pfauenfedern aus. Für das handgefertigte Modell wurden „230 Pfauenbrustfedern verarbeitet“, sagt Kanthak. Rund 30 Arbeitsstunden stecken in dem in der Sonne schillernden Jagdhut. Bei der Krautkrämerei ist es das bunte Duftgemisch der Kräuter und Teesorten, das Besucher innehalten lässt. Neben bekannten Gewürzen gehört auch das Eberrautenkraut dazu. „Es ist ein altes Gewürz, das einst schon in der Klosterküche verwendet wurde“, sagt Rudolf Huhnen, während Roswitha Kesseler neben ihm Tees mit Namen wie „Stille“ und „Quelle der Schönheit“ für Kunden abfüllt.
Mit Dudelsack-Klängen kündigt sich der Marktumzug an. Die Holzpantinen der Bauersleute klappen über das Pflaster. In edle Gewänder gehüllt ziehen Grafen und Gräfinnen vorbei. Pestglöckchen klingeln. Knappen tragen Schilder mit Wappen von Rittern, die ihnen folgen. Wikinger mit wild bemalten Gesichtern gehören ebenso zum Umzug wie der Gaukler Gwan auf seinen hohen Stelzen.
In den auf dem Museumsgelände aufgebauten Lagern flattern Fahnen an Zelten. Das Krächzen von Greifvögeln ist zu hören, denn auch die Falknerei Bad Marienburg gehört zu den Ausstellern. „Ganz vorsichtig überziehen“, gibt Michael von der Falknerei vor und stülpt den Handschuh, auf dem die gerade 180 Gramm wiegende Weißgesichtseule sitzt, über eine Kinderhand. Ein strahlendes Lächeln ist zu sehen. Die sechs Jahre alte Eule namens Leo auf der Hand sitzen zu haben, ist ein ganz besonderes Erlebnis. Bei Falknerin Luisa Weich ist es hingegen der Wüstenbussard, der für Aufsehen sorgt.
Nicht minder interessiert wird Luzilla beäugt. „Ich bin 250 Jahre alt und komme bald in die Drachenschule“, verkündet der Drache, der sich um die Schultern von Emlygwen schmiegt, die sich als die Leiterin der Drachenauffangstation vorstellt. Bei Franziskanermönch Michaelis galoppieren die Schaukelpferde Constanze und Frederike. Im Sattel: Ritter Leopold und Edelfräulein Runa. Ringstechen ist angesagt. Ausgerüstet mit Holzlanzen geht es darum, die zwischen den Schaukelpferden an einem Seil hängenden Ringe zu treffen und auf die Lanze rutschen zu lassen. Zur Belohnung darf sich jedes der beiden Kinder etwas aus der Schatztruhe aussuchen, bevor die nächsten Reiter in den Sattel steigen und ihr Geschick versuchen.
Ungewöhnliche Töne locken bei Andrea Mielke und Andreas Werner die Besucher an. Ob der Streichpsalter mit seiner dreieckigen Form, die „beim Spielen lange Arme voraussetzt, damit mit dem Bogen die oberen Bereiche gestrichen werden können“, wie Mielke sagt und auch direkt vorführt, oder das Chalumeau, die Urform der Klarinette – die beiden Musiker der Gruppe Valkenviur stellen die Instrumente des Mittelalters vor. Dazu gehören auch Kastenleier und Zimmerdudelsack.