Kultur Ein Multitalent auf ganz vielen Ebenen
Kempen · Die Autorin Tina Schlegel schreibt spannende Bodensee-Krimis und lebt seit knapp zwei Jahren in Kempen.
Seit anderthalb Jahren wohnt Tina Schlegel der Liebe wegen nun in Kempen. Sie schätzt das Kleinstädtische, die Altstadt, die „offenen, gemütlichen Menschen“ und das Gefühl, „dass man mit offenen Armen aufgenommen wird“. Bei der Volkshochschule versuchte die Autorin, Kurse für das Schreiben zu geben, was Corona aber erschwert hat. Sobald das wieder geht, will sie da aber weitermachen. Und wieder Lesungen möglichst mit Musik machen.
Wann sie geboren ist, daraus macht die Autorin ein Geheimnis. „Ich habe mein Alter tatsächlich nie genannt“, will sich die selbstbewusste Frau „zwischen 30 und 52“ an der Stelle treu bleiben. Geboren ist sie im Saarland, aufgewachsen im Unterallgäu — genauer gesagt in Mindelheim. „Eine Kleinstadt, eine Kindheit auf dem Dorf in einem Einfamilien-Haus“, umschreibt sie knapp und präzise, wie sie dort mit vielen Tieren und der Familie gelebt hat. „Ich hätte gerne auf einem Bauernhof gelebt“, gesteht sie heute. Ein Grund, warum Tiere in ihren Büchern einen starken Platz einnehmen.
Der Vater ist Fahrlehrer, die Mutter Lehrerin für Schreibmaschine und Steno. Über sie lernt sie das Maschineschreiben mit zehn Fingern. Ihre Fingerfertigkeit schult sie auch über ihre musikalische Leidenschaft für das Klavierspielen, besonders gerne am späten Abend oder in der Nacht. „Alles ist dann still und nichts drum herum“, sagt sie.
Die Lust zum Schreiben, die hatte sie schon früh, als es mit dem eigenen Tagebuch und Gedichten anfing. In Schulumfragen schrieb sie immer: „Ich will Schriftstellerin werden.“ Und so suchte und fand sie vielfältige Mechanismen des Schreibens.
Eine Schriftstellerin
mit Tennis-Talent
Mit 19 Jahren verließ sie das Elternhaus, studierte in Konstanz Literatur, Geschichte, Kunst und Medien und blieb 13 Jahre lang in der Stadt. Die Überschaubarkeit, das lebendige, mittelalterliche Flair, die Landschaft, die Natur und die kulturelle Arbeit dort prägten sie – was ihre persönliche und ihre schriftstellerische Affinität zur Stadt und dem Bodensee in ihren Büchern bis heute erklärt. So entstanden die Krimireihen um die Ermittler Paul Sito und Roman Enzig und um die Kommissarin Cora Merlin in Lindau.
Daneben pflegte Tina Schlegel in der Schul- und Studienzeit ihr besonderes Talent für das Tennisspielen. Sie erreichte sogar Bundesliga-Niveau und war in der Weltrangliste unter den Top 300, reiste durch ganz Europa. „30 Stunden Tennis plus reisen und studieren“, da blieb höchstens mal zwischendurch ein kurzes Zeitfenster für das Bücherschreiben. „Auf diese Zeit habe ich mich aber immer gefreut.“ Heute kann sie sich die Zeit dafür nehmen, „das zu tun, was mich erfüllt“.
Schlegel arbeitete nach dem Studienende in Düsseldorf als Regieassistentin an der Düsseldorfer Komödie, machte eine Ausbildung zur Drehbuchautorin in München, zog 2008 in die bayrische Metropole und schrieb Film-Drehbücher. Und 2010 schloss sie an der Münchener Hochschule für Film und Fernsehen einen zweijährigen Bachelor-Studiengang Kulturjournalismus mit dem Schwerpunkt Kulturkritik ab, arbeitete als Kultur- und Literaturkritikerin für mehrere Zeitungen.
Ihre ersten beiden Romane schrieb sie in Konstanz. Es dauerte, bis sie beim Kölner Emons-Verlag eine schriftstellerische Heimat fand. „Das ist schon ein steiniger Weg“, sagt die Autorin. Und Schriftstellerei sei „auch ein idealistischer Job“, was die vielen Tätigkeiten erklärt, die aber auch Ausdruck ihrer Vielseitigkeit und Neugier sind.
Der Krimi als Genre verschaffe ihr die Möglichkeit, „die Figuren über Grenzen hinausgehen zu lassen, über den Rand des Vorstellbaren“, sagt Schlegel. Oft gehe es um Fragen zwischen Recht und Gerechtigkeit, „wo sich Figuren entscheiden müssen, wo es um Leben und Tod geht“ – wie in dem Buch „Still ruht der See“, in dem bewaffnete Männer die Universität Konstanz überfallen, 50 Geiseln nehmen und schließlich fordern, dass eine Vergewaltigungs-Serie aufgeklärt wird. Schlegel mag es, „den Denkprozess der Figuren zu verfolgen und wie sie ihn als Person bestehen“.
Zu Beginn ihrer Tätigkeit habe sie die Geschichten quasi heruntergeschrieben, sagt die Autorin im WZ-Gespräch. Heute müsse sie dem Verlag einen festen Plot vorlegen, wo die Handlungsstränge festgelegt sind. „Die Gefahr des ,Verirrens‘ ist also nicht mehr ganz so groß“, sagt Schlegel und lächelt. Auch wenn sie parallel an mehreren Manuskripten, sprich Geschichten, gleichzeitig arbeitet. Und sich so manches Mal selbst dabei ertappt, dass sich die Passagen in den Büchern so gruselig entwickeln, dass sie sich selbst darüber erschreckt.
Die Figuren und Geschichten
sind komplex angelegt
Schlegel mag es, ihre Geschichten und Figuren wie die der Kommissarin Cora Merlin oder des Ermittlers Sito komplex anzulegen, sie mit Brüchen auszustatten. „Merlin zum Beispiel ist ehrgeizig, braucht die Kontrolle, hat aber eine neurologische Wahrnehmungsstörung und eine dunkle Stelle im Leben“, erzählt sie.
Ob sie mal einen Niederrhein-Krimi veröffentlichen wird? Schlegel winkt ab. „Da habe ich schon beim Verlag angefragt. Die Rubrik ist bereits besetzt.“ Aber dass die eine oder andere Figur hierher mal umzieht oder ein Fall eine Kooperation erzwingt, das wären sicher mal „Spielfelder“, sagt die Autorin. Man darf gespannt sein…