„Kuh verschmäht die Weide“

Die Zahl der Milchkühe steigt — doch auf den Weiden sieht man die Tiere immer seltener.

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Kreis Viersen. Das gewohnte Landschaftsbild im Kreis Viersen ändert sich: Immer seltener sind Milchkühe auf den Weiden zu sehen. Den Grund dafür kann man aus einer aktuellen Erhebung des Statistischen Landesamtes NRW erkennen: Die Zahl der Milchbauern im Kreis Viersen ist 2016 erneut gesunken. Gab es im Vorjahr noch 169 Betriebe sind es aktuell nur noch 150.

Paul-Christian Küskens, Vorsitzender der Kreisbauernschaft Krefeld-Viersen, weiß: „Die Preissituation im vergangenen Jahr hat dazu geführt, dass uns überdurchschnittlich viele Betriebe verloren gegangen sind.“ Hinter den Milchbauern liegt ein turbulentes Jahr.

Paul-Christian Küskens, Vorsitzender der Kreisbauernschaft

Im Mai gingen die Milchpreise in den Keller: Immer wieder drückten die großen Handelsketten sie nach unten. Die Milcherzeugung ist — besonders für die kleineren Betriebe — ein Zuschussgeschäft. Investitionen, die nicht dringend notwendig waren, seien nicht getätigt worden. Die Motivation der Bauern sei verloren gegangen, sagt Küskens: „Wenn man jeden Tag Geld mitbringen muss, wenn man in den Stall geht, dann herrscht depressive Stimmung auf den Höfen.“

Es sind die großen Betriebe, die überleben. „Die kleineren Strukturen gehen nach und nach verloren“, sagt Küskens. Das sei eine unschöne Entwicklung. Er spricht von traditionsreichen Familienunternehmen, die viel Herzblut in die Milchproduktion gesteckt hätten: „Wenn dann die letzte Kuh den Hof verlässt, ist das mit vielen Emotionen verbunden.“

Überraschend sein mag die Tatsache, dass es trotz der zurückgehenden Betriebe mehr Kühe im Kreis gibt: Statt 15.846 im vergangenen Jahr sind es 2016 insgesamt 16.090. Verteilt auf 150 Höfe macht das durchschnittlich 107 Kühe pro Betrieb. „Die Marktpartner suchen immer mehr nach Betrieben, die größere Mengen verkaufen können“, erklärt Küskens. Auf den Weiden jedoch sind weniger Kühe zu sehen. Das sei nicht unbedingt negativ zu bewerten, erklärt Küskens: „Wir sind heute in der Lage, Kühen im Stall so schmackhaftes Futter anzubieten, dass die Kuh die klassische Weide verschmäht.“ Der Kuhkomfort in den Ställen werde außerdem großgeschrieben. Statt Anbindeställen seien offene Ställe mit Frischluft üblich, in denen sich die Kühe frei bewegen und wohlfühlen. „Da ist man geneigt zu sagen, bei größeren Einheiten bleiben die Kühe im Stall“, so Küskens.

Bei kleineren Höfen sei eine Spezialisierung nötig. In vergangenen Zeiten baute Küskens Kartoffeln an, hatte Schweine. 2016 hat der Landwirt auch seine Rinderaufzucht aufgegeben, die gewonnene Fläche nutzt er für mehr Milchkühe.

Der Nachteil an der Spezialisierung: „Wer nur ein Standbein hat, hat ein großes Problem, wenn es in diesem Produktionsgebiet schlecht läuft.“ Dank der im Herbst gestiegenen Milchpreise gehe der Kreisbauernverband aber mit einem „positiven Grundgefühl“ ins Jahr, das Minus auf dem Konto sei nicht mehr ganz so groß. „Es geht in die richtige Richtung, wir sind noch nicht kostendeckend unterwegs, aber immerhin sind die Futterkosten gedeckt“, so Küskens.

Einer der 19 Betriebe, die 2016 aufgegeben wurden, gehörte Johannes Meiners aus Leuth in Nettetal. Der Abschied aus dem Stall fiel schwer, doch die gnadenlosen Preiskämpfe auf dem Lebensmittelmarkt hatten ihm die letzten Jahre vor der Rente nicht leicht gemacht. Für die Milchviehhaltung im Dorf ist damit Schluss, Meiners war der letzte Leuther Milchbauer.