Hilfswerk aus Tönisvorst in der Ukraine Hilfe im dritten Kriegswinter
Tönisvorst · Das Tönisvorster Hilfswerk Action Medeor ist seit Kriegsbeginn in der Ukraine tätig. Pressesprecher Markus Bremers besuchte jetzt den Südosten des Landes. Die Zerstörung sei enorm, Medikamente würden zum Luxusgut, sagt er.
„Der dauernde Alarmmodus und das funktionieren Müssen hat die Menschen viel Kraft gekostet“, sagt Markus Bremers, Pressesprecher des Tönisvorster Hilfswerks Action Medeor, nach einem Besuch im Südosten der Ukraine, nicht weit von der Frontlinie entfernt – so nah, dass er den Artilleriebeschuss hören konnte. Nach seinem letzten Besuch Ende 2022 habe er nun die psychologische Verfassung der Menschen als extrem erlebt, sagt Bremers: „Eine Polarität zwischen ,Wir werden das schaffen’ und ,Ich wünschte, es wäre vorbei‘.“ Was er hingegen wenig bis gar nicht erlebt habe: jammern. Die Solidarität der Menschen untereinander und die Herzlichkeit seien enorm, und sie seien nicht bereit, den Krieg als Normalzustand zu akzeptieren. „Sie richten sich eine Normalität ein, die auf den Werten Zusammenhalt und Hilfsbereitschaft fußt. Diese Werte verteidigen sie.“ Auch lachen und Witze machen gehörten dazu, sagt Bremers.
Seit fast drei Jahren ist Action Medeor im Südosten der Ukraine aktiv und hat mit lokalen Partnerorganisationen wie Farwater, IBC und Intersos rund um Odessa, Mykolajiw und Cherson mehrere humanitäre Projekte auf den Weg gebracht: von der kostenfreien Medikamentenausgabe mit mobilen Apotheken in kriegszerstörten Dörfern und psychosozialen Betreuung der Menschen über Wasserversorgung und warme Mahlzeiten für Zehntausende in den Städten bis zur Winterhilfe in Form von Öfen, Heizmaterial, Decken und warmer Kleidung. Auch Spielenachmittage für Mädchen und Jungen gibt es – damit sie auch „einfach mal Kind sein können“. Die lokalen Partner unterstützt Action Medeor unter anderem finanziell und organisatorisch. „Vor allem gilt es, die Effizienz zu steigern, damit jeder gespendete Euro so viel Hilfe wie möglich generiert“, sagt Bremers.
Aber das Tönisvorster Hilfswerk organisiert weiterhin auch Hilfstransporte aus Deutschland mit Medikamenten und medizinischer Ausrüstung. Es vergehe kaum eine Woche, in der nicht vom Lager in Vorst aus ein Lkw in die Ukraine aufbreche, sagt Bremers. Mehr als 1000 Tonnen Hilfsgüter mit einem Gesamtwert von mehr als 13 Millionen Euro habe die „Notapotheke der Welt“, wie Action Medeor auch genannt wird, seit Februar 2022 auf den Weg in die Ukraine gebracht. „Empfänger sind mehr als 185 Krankenhäuser im ganzen Land“, sagt Bremers.
Trotz totaler Zerstörung
kehren die Menschen zurück
Im Südosten der Ukraine, der teilweise von den Russen besetzt war und über den die Frontlinie zweimal hinwegging, gebe es Dörfer, in denen es kein Gebäude gebe, das nicht zerstört sei, berichtet Bremers, abseits der Straßen gebe es Minenfelder, Minenräumdienste seien bei der Arbeit. Dennoch kehren viele Einwohner zurück, darunter auch Familien mit Kindern und alte Menschen. „Viele wollen nicht entwurzelt werden, sind dort zu Hause und wissen nicht wo sie sonst hin sollen“, sagt Bremers.
Doch es gebe auch noch einen anderen Grund: „Die Menschen in dieser Region waren schon vor dem Krieg arm und haben einfach nicht die finanziellen Möglichkeiten, sich die Flucht zu leisten.“ Die meisten Flüchtlinge seien Binnenflüchtlinge, blieben also in der Ukraine. Doch da der Staat die Sozialleistungen stark eingeschränkt habe, könnten sich viele eine Mietwohnung in anderen Regionen der Ukraine schlicht nicht leisten, sagt Bremers.
Und so würden nach und nach Dörfer und Infrastruktur – zumindest provisorisch – wieder aufgebaut. Doch sie leben bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt in Häusern ohne Heizung, Wasser und Strom. Schulen, Kindergärten, Geschäfte, Apotheken oder ärztliche Versorgung gibt es nicht. Die Winterhilfe von Action Medeor und seinen Partnern ist da höchst willkommen. „Viele Menschen sind auf diese Hilfen angewiesen, um zu überleben“, sagt Markus Bremers.
Die medizinische Versorgung sei inzwischen auch zu einem sozialen Problem geworden. „Die Preise für Medikamente sind seit Februar 2022 um 25 bis 60 Prozent gestiegen“, berichtet Bremers. Der ukrainische Staat hat auch die kostenfreie Ausgabe von Medikamenten heruntergefahren. „Viele Menschen können sich daher Gesundheit schlicht nicht mehr leisten“, sagt Bremers. „Medikamente werden für viele zum Luxusgut. Manche müssen täglich entscheiden, ob sie Essen oder Medizin kaufen – beides geht nicht.“ Vor allem chronische Krankheiten seien das Problem. Längst gebe es in der Ukraine einen Anstieg von stressbedingten Herz-Kreislauf-Erkrankungen, aber auch von Diabetes und Tumorerkrankungen. „Das liegt auch daran, dass viele Menschen lange nicht mehr beim Arzt waren und diese Dinge erst jetzt diagnostiziert werden“, erklärt Bremers.
Daher hat Action Medeor mobile Dienste eingerichtet, die die Menschen auch nahe der Front aufsuchen. „Wir bringen ihnen Medikamente, organisieren ärztliche Beratung, liefern Öfen und Heizmaterial“, fasst Bremers zusammen, „und wir hören manchmal auch einfach nur zu – und zeigen den Menschen, dass sie nicht vergessen sind.“