Eltern von Todesopfern protestieren Loveparade: Verfahrenseinstellung „Freibrief für die Eventbranche“ 

Düsseldorf · Eltern von zwei zu Tode gekommenen Festivalbesuchern wenden sich verbittert an die Öffentlichkeit. Ruf nach Untersuchungsausschuss.

Klaus Peter und Stefanie Mogendorf verloren bei der Loveparade-Katastrophe ihren damals 21-jährigen Sohn Eike.

Foto: dpa/Roland Weihrauch

Sie sind rechtlich machtlos, aber nicht sprachlos:  Die Eltern zweier bei der Duisburger Loveparade im Juli 2010 verstorbener Jugendlicher haben kein Vetorecht. Auch ohne ihre Zustimmung als Nebenkläger hat das Landgericht Duisburg in Übereinstimmung mit der Staatsanwaltschaft und sieben der zehn Angeklagten den Prozess gegen ebendiese sieben Angeklagten wegen geringer Schuld eingestellt. Gegen die anderen drei wird weiterverhandelt. Doch Stefanie und Klaus Peter Mogendorf, Eltern des mit 21 Jahren verstorbenen Eike und die Italienerin Nadia Zanacchi, die ihre damals ebenfalls 21-jährige Tochter Giulia verlor, begehren noch einmal auf. In einer Gaststätte nahe der Messe Düsseldorf, wo der Prozess des Landgerichts Duisburg verhandelt wird, machen sie ihrer Verzweiflung in einer improvisierten Pressekonferenz Luft.

Klaus Peter Mogendorf ist Bauingenieur, kennt sich aus mit Sicherheitsvorschriften. Die für Versammlungsstätten zur Zeit des Unglücks bereits geltenden Regeln seien umgangen worden, sagt er mit Blick auf die Angeklagten – die mit Organisation und Planung beauftragten Mitarbeiter der Stadt Duisburg und des Loveparade-Veranstalters. Und Mogendorf hat mehr im Blick als das Schicksal seines Sohns Eike, wenn er an die Konsequenzen denkt: „Eine Einstellung wegen geringer bis mittlerer Schuld kommt einem strafrechtlichen Freibrief für die Eventbranche und die Genehmigungsbehörden gleich. Je mehr Personen an einem Event mitwirken, desto schneller und häufiger verflüchtigen sich die dem Individuum zuzurechnenden Anteile. Desto geringer scheint die individuelle Verantwortung“, warnt er.

Strafrechtsprofessor bezweifelt die Sichtweise des Gerichts

Mogendorf bezieht sich damit auf die von Richter Mario Plein angeführten Argumente, dass viel mehr Personen als nur die zehn Angeklagten für die Katastrophe verantwortlich seien. Und die daraus folgende Relativierung der Schuld der Angeklagten. Diese Sichtweise erzürnt auch den an der Seite von Mogendorf sitzenden Regensburger Strafrechtsprofessor Henning Ernst Müller. Dass ein strafrechtlich bedeutsames Geschehen mehrere Urheber hat, sei doch nichts Besonderes, sagt er. Hier seien die Folgen durchaus den Angeklagten zurechenbar. Müller: „Die fahrlässig gefährliche Planung und deren fahrlässig fehlerhafte Genehmigung waren die Ursache für den Stau am oberen Rampenkopf, der die Polizei erst veranlasste, an völlig ungeeigneten Stellen Sperren zu errichten.“ Es habe doch kein Unwetter, kein Feuer oder eine andere außergewöhnliche Situation vorgelegen. „Die Todesfälle und vielen Verletzungen sind praktisch im ,Normalbetrieb‘ eingetreten, beim so vorgesehenen Ein- und Ausgang der Veranstaltung.“ Jetzt zu behaupten, diejenigen, die diese Veranstaltung geplant und so haben stattfinden lassen, würden durch fahrlässige Aktivitäten anderer am Veranstaltungstag entlastet, stelle die Bewertung der Sachlage auf den Kopf, klagt Müller.

Nadia Zanacchi, Mutter der ebenfalls mit 21 Jahren gestorbenen Giulia.

Foto: Peter Kurz

 Nadia Zanacchi will sich mit dem absehbaren Ende der gerichtlichen Aufarbeitung nicht abfinden. Sie spricht italienisch, eine Dolmetscherin übersetzt ihre Forderung nach  Einsetzung einer „parlamentarischen Untersuchungskommission“. Damit solle „die Verantwortung aller involvierten Personen festgestellt“ werden. Auch denkt sie daran, sich an den Europäischen Gerichtshof zu wenden.

Rechtsprofessor Müller interpretiert das so, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gemeint ist, sieht da aber wenig Chancen. Wohl hält er die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses des Landtags  noch für denkbar. Müller: „In einem Strafprozess wird nur gegen die Angeklagten ermittelt, es geht nicht um politische Verantwortlichkeit. Eben das wäre Aufgabe eine Untersuchungsausschusses, der etwa klären müsste, ob  es einen unverhältnismäßigen Druck von politischer Seite gab, die Veranstaltung durchzuführen.“ Das könnte auch jetzt noch auf diesem Weg geklärt werden, glaubt er.  Ob sich eine der Fraktionen im Düsseldorfer Landtag, die allein in dieser Legislaturperiode bereits drei Untersuchungsausschüsse auf die Schiene gesetzt haben, diesem Ansinnen anschließen wird?