Dunkelziffer Die Zahlen häuslicher Gewalt in Remscheid schwanken
Remscheid · Eine Studie der TU München hat gezeigt, dass die Corona-Pandemie einen negativen Effekt auf die Gewalt an Frauen und Kindern hat. Die Polizei sieht keinen signifikanten Anstieg durch Corona.
Es dauert keinen halben Tag, da springt die Ampel wieder auf Rot: Freie Plätze im Remscheider Frauenhaus sind rar. Über das Internetportal können Betroffene per Ampelsystem bundesweit sehen, welche Einrichtungen noch Kapazitäten hat. Die Karte ist mehr rot als grün. So auch im Remscheider Frauenhaus − dies ist keine Momentaufnahme. „Die acht Plätze plus ein Notplatz sind immer voll. Teilweise kümmern wir uns dann um bis zu 20 Personen“, sagt die Leiterin Karin Heier. Denn die Remscheider Einrichtung, die vom Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) getragen wird, nimmt auch Kinder mit auf. Für Karin Heier ist das ständige Rot auf der Karte kein Wunder: Corona hat die bestehenden Probleme noch verstärkt.
Das zeigt auch die repräsentative Studie „Gewalt an Frauen und Kindern in Deutschland während Covid-19-bedingten Ausgangsbeschränkungen“ der TU München. Das Ergebnis der Wissenschaftlerinnen: Viele Frauen waren während der Kontaktbeschränkungen Anfang 2021 auch vermehrt von sexualisierter Gewalt betroffen. In den Zahlen der angezeigten Straftaten spiegelt sich das offiziell allerdings nicht wider. Die Befürchtung, dass Fälle häuslicher Gewalt während der Pandemie und insbesondere während der Lockdowns rasant zunehmen könnten, bestätigt die schwankende Zahl der Strafanzeigen bei der Polizei in den vergangenen Jahren nicht. Beim Vergleich der Zeiträume von Januar bis April der Jahre 2019 bis 2022 gibt es laut Alexander Kresta, Sprecher der Polizei Wuppertal, „jährlich leichte Wellenbewegungen ohne besondere Auffälligkeit“ zu beobachten.
Von Januar bis April dieses Jahres hatte die Polizei in Remscheid 100 Fälle häuslicher Gewalt zu verzeichnen, 15 mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. 2020 waren es 65, 2019 wurden 104 Taten angezeigt. Im Querschnitt seien die Fälle seit 2019 also gleichgeblieben. Es bleibe abzuwarten, ob sich dieser Trend fortsetze. „Fälle mit schweren Verletzungen sind dabei generell eher die Ausnahme“, sagt Kresta, der betont: Häusliche Gewalt ist ein Konglomerat an Straftaten. Die Delikte spielten sich in den eigenen vier Wänden mit den verschiedensten Konstellationen ab.
Die Polizei appelliert an die Betroffenen, jede Tat anzuzeigen
Die Dunkelziffer sei weitaus höher, das ist auch der Polizei klar, die natürlich appelliert, jede Tat anzuzeigen. Aber nicht selten würden aus Scham, Angst- und Verlustängsten Straftaten nicht angezeigt. Einen ersten Schritt aus diesem Teufelskreis heraus ist es, das Schweigen zu brechen und eine Beratungsstelle zu kontaktieren (Kasten). So können im Sana-Klinikum nun auch anonym Spuren nach einer erlittenen sexueller Gewalt gesichert werden. So kann das Opfer auch zu einem späteren Zeitpunkt noch Anzeige erstatten, ohne dass medizinische Befunde als Beweismaterial verloren gehen.
Auch Karin Heier kann die „Wellenbewegungen“ bestätigen. Erfahrungsgemäß kommen die Auswirkungen erst zeitverzögert ans Licht. Doch während sich die Leiterin des Solinger Frauenhauses, Martina Zsack-Möllmann, mehr Druck von Polizei und Staatsanwaltschaft bei den Ermittlungen gegen die Täter wünscht und gar ein Dezernat für häusliche Gewalt für hilfreich erachtet, setzt Heier auf die Stärkung bereits bestehender Hilfsstrukturen: Frauenhäuser, Beratungsstellen und Frauenbüros. „Frauenhäuser müssen endlich eine Regelfinanzierung erfahren“, fordert sie. Aktuell gebe es hier sogar einen Vorschlag, der in die Politik eingebracht wurde. Denn dann hätte auch ihr Team mehr Zeit, Betroffene zu Opferschutzgesprächen mit der Polizei oder zu Gericht zu begleiten, sie weiter zu beraten. Denn die Helfer stoßen dann oft an ihre Grenzen.
Nach dem Auszug der Frauen aus dem Frauenhaus stelle sich schließlich die Frage: Und nun? Die Anschlussbetreuung fehle, seitdem das Remscheider Modellprojekt „second stage“ vom Land eingestellt wurde, sagt Heier. Hierbei half eine Beraterin bei der Wohnungssuche. „Denn die Frauen wollen selbstständig sein und nicht länger als nötig im Frauenhaus bleiben.“ Das Modellprojekt hat Karin Heier nun an Kolleginnen und Kollegen nach Bayern weitergegeben. „Sie arbeiten dort nach unserem Konzept. Bayern hält es für eine gute Sache, und NRW stellt es ein“, kritisiert sie - und hofft, dass „second stage“ vielleicht doch noch einmal reaktiviert wird.