Autobahnbrücke: Der Abriss auf der A 57 hat begonnen
Dormagen (dpa) - Um Punkt 12 Uhr reckt Baudirektor Joachim Minten den Daumen in die Höhe. Es ist das Startsignal für „Oppa“, wie Baggerfahrer Eberhard Moritz gerufen wird, weil er so viel Erfahrung hat - im Baggerfahren allgemein und im Brückenabreißen im Besonderen.
„Oppa“ tritt auf das Fußpedal seiner gewaltigen 80-Tonnen-Maschine und eine gut drei Meter große Kneifzange beißt sich in den Beton wie in ein weiches Butterbrot.
Am Freitag hat der Abriss der Brücke der A57 begonnen, auf der zehn Tage zuvor bei einer Massenkarambolage in Dormagen ein Mensch starb und 13 verletzt wurden. Bis Montagmorgen soll die Brücke verschwunden sein. „Es ist ein Jammer“, sagt Minten, als die Brücke zerbröselt. „Die hätte noch 50 Jahre gehalten.“
Doch ein Brandstifter hat nicht nur den Toten und die Verletzten, sondern auch das massive Bauwerk auf dem Gewissen. Brennende Kunststoffrohre entwickelten 1000 Grad Hitze und ließen den Beton mürbe und den Stahl spröde werden. Das Corpus Delicti liegt unbeachtet herum: Einige Quadratmeter geschmolzene schwarze Plastikmasse.
Kurz bevor der Betonbeißer loslegt, huscht noch eine Werkslok unter der Brücke hindurch. Ein ganzes Industriegebiet mitsamt einem riesigen Aluminiumwerk ist über das Wochenende vom Schienenverkehr abgeschnitten. In den Tagen vorher wurden noch eilig die dringendsten Transporte auf die Schiene gebracht. Der volkswirtschaftliche Schaden der eineinhalbmonatigen Totalsperrung der Autobahn soll nun eigens mit einem Forschungsprojekt ermittelt werden.
Die Zange frisst sich durch den Beton wie ein hungriger Dinosaurier. Daneben warten 20 Kipplaster in einer langen Schlange auf die Trümmer. Ab Montag soll der Aufbau der Behelfsbrücke aus Stahl beginnen. Sie soll in wenigen Wochen an gleicher Stelle wie die alte Brücke stehen, mit jeweils zwei engeren Fahrspuren in beiden Richtungen. Dann wird für einige Jahre an dieser Stelle der Autobahn Tempo 60 gelten.
Ostern soll der Verkehr auf der derzeit voll gesperrten Autobahn wieder fließen. „Wir sind gut im Zeitplan“, sagt Andreas Rath von Straßen NRW. Etwa einen Kilometer entfernt in der benachbarten Siedlung hat die Polizei einen Infostand aufgebaut und mit dem Verteilen von 500 Plakaten begonnen. Sie kleben bereits an Bushaltestellen, Schaukästen und Ladenfenstern. Inzwischen sind Profiler auf den Fall angesetzt. Sie vermuten, dass der Brandstifter im Umfeld wohnt, „vom Ausmaß der Katastrophe selbst erschrocken“ ist und dass ihn nun sein Gewissen plagt.
Die Dormagener werden daher um Hinweise auf Menschen gebeten, die sich seit der Tatnacht auffällig verhalten. „Wir suchen Schüler oder junge Männer, die durch Schuleschwänzen oder Fernbleiben vom Arbeitsplatz aufgefallen sind, die womöglich einen erhöhten Alkoholkonsum an den Tag legen.“ Damit ist nicht der Konsum an Karneval gemeint.
Die Ermittler scheinen mehr zu wissen, als sie derzeit sagen wollen: „Wir sind uns sicher, dass wir die Tat klären werden.“ Eine gute Nachricht hat die Polizei noch: Eine 35-jährige Autofahrerin schwebt nicht mehr in Lebensgefahr, ihr Zustand ist inzwischen stabil - sie soll bald aus dem künstlichen Koma aufgeweckt werden.
Die Polizei hat in den vergangenen Tagen eine Vielzahl von Hinweisen erhalten. Denen wird nachgegangen. Die Spurensuche am Brandort ist abgeschlossen. Die Spurenauswertung dauert an. Des Weiteren analysieren die Ermittler gemeinsam mit Experten (Brandermittler, Brandsachverständige und Profiler des LKA) die Geschehnisse.
So sollen weitere Erkenntnisse erlangt werden, ob die Tat durch eine Tätergruppe oder einen Einzeltäter begangen wurde. Hinweise mit Verdachtsmomenten gegen bestimmte Personen oder Personengruppen werden von der Polizei sorgfältig geprüft. Erkenntnisse aus anderen Fällen zeigen, dass die hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass der oder die Täter bereits Straftaten wie z. B. Sachbeschädigungen (auch durch Feuer), Einbruchs- oder Diebstahlsdelikte oder allgemeinen Vandalismus begangen haben könnten.
In diesem Zusammenhang überprüft die Kommission solche regionalen Straftaten. Insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt, dass in Betracht gezogen werden muss, dass der oder die Täter selbst von dem gewaltigen Ausmaß und den Folgen des Geschehens überrascht wurden. So könnten der oder die Täter in der Folge, nach Erkennen des Ausmaßes der Katastrophe, Verhaltensänderungen gezeigt haben. (Fehlen in der Schule oder bei der Arbeit - Personen ins Vertrauen gezogen - Treffpunkte gemieden - Zurückziehen)
Auch vermeintlich unbedeutende Hinweise können in der Gesamtschau an Bedeutung gewinnen. So richtet die Kriminalpolizei folgende Fragen an die Bevölkerung: Wer hat im weiteren Bereich des Brandortes, zur Tatzeit oder im Vorfeld Einzelpersonen, Personengruppen oder Fahrzeuge wahrgenommen? Wer kann Angaben über Personen/Gruppen machen, die sich wiederholt im regionalen Umfeld aufhielten oder den Ernteweg als Verbindung zwischen Nievenheim und der B 9 bzw. Zons nutzten? Wer hat Verdachtsmomente gegen bestimmte Personen/Gruppen?
Für Hinweise, die zur Klärung der Tat und/oder Ergreifung der Täter führen, hat die Staatsanwaltschaft einen Betrag von 1.500 Euro ausgelobt. Anrufe werden erbeten an die Ermittlungskommission A 57 unter 0211-8700 oder jede andere Polizeidienststelle.