Polizisten trainieren im Keller den Ernstfall

Treffsicherheit ist für die Beamten ebenso wichtig wie ein sicheres Konflikt-Management.

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Neuss. Es riecht ein bisschen nach Schulturnhalle. Und genauso wie der regelmäßige Weg dorthin für Schüler Pflicht ist, ist es der Weg an diesen Ort für jeden Polizisten: die schmale Treppe auf dem Gelände der Kreispolizei an der Jülicher Landstraße hinunter, ab in den Schießkeller. „Jeder kommt mindestens ein Mal im Jahr zu uns“, sagt Hauptkommissarin Petra Bartneck. Sie ist Leiterin der Fortbildungsstelle der Polizei. Und da jeder Polizist im Rhein-Kreis mindestens ein Mal im Jahr seine Treffsicherheit beweisen muss, kennt jeder Polizeibeamte im Rhein-Kreis den schlauchförmigen Kellerraum genau. Dort geht es aber nicht nur um Treffsicherheit und gezielte Schüsse, sondern auch um richtiges Verhalten im Einsatz, Gefahren-Erkennung — und darum abzuschätzen, wann eben kein Schuss abgegeben werden sollte. Schießen oder Nicht-Schießen, das ist eine knifflige Frage. Auch Kommunikation ist wichtig, um brenzlige Situationen zu vermeiden.

Die Pflicht-Termine im Schießkeller haben im Polizei-Deutsch eine Abkürzung, nämlich: LÜHT. Was angesichts des Klangs für eine niederrheinische Version des Wörtchens „Leute“ sein könnte, steht für das amtsdeutsche Wortmonstrum „Landesweite Überprüfung Handhabung und Treffsicherheit“. Und wie ein LÜHT-Termin oder ein Training im Schießkeller aussehen, demonstrieren die Einsatztrainer Frank Pleitsch und Nadine Schiwek. Die Oberkommissarin betritt den 35 Meter langen Raum, an dessen einem Ende sich eine Leinwand befindet — und am anderen Ende, hinter dickem Glas, eine Art kleiner Kommandozentrale. Von dort aus gibt es Regieanweisungen, und es werden verschiedene Sequenzen auf die Leinwand projiziert.

Eine erste Schwierigkeit: Der Polizist im Schießkeller muss Situationen richtig einschätzen und sehen, welche Ganoven auf ihn treffen und wer vielleicht nur unschuldig ist. Die Frage ist dann zum Beispiel: Ergibt sich der Autoknacker im Parkhaus? Will er davon laufen? Oder greift er gar zur Waffe? Was die Polizisten dabei durchgehen, sind Situationen, bei denen es draußen im Einsatz rasch um Leben und Tod gehen kann. Mitunter huschen auch Passanten durch das Bild auf der Leinwand, die sich nur in Sicherheit bringen wollen. Auch das müssen die Polizisten einschätzen. Die Projektion zeigt: Es sind sekundenschnelle Entscheidungen gefragt. „Und das ist gar nicht so einfach“, sagt Polizeisprecherin Diane Drawe. Wer weiß schon, was ein Ganove vorhat, der plötzlich mit hektischen Handbewegungen in seine Jackentasche greift? Deshalb ist auch Deckung wichtig.

Immer wieder knallt es im Schießkeller natürlich auch. Schließlich müssen die Polizisten zeigen, dass sie treffsicher sind — und zwar aus Entfernungen von sechs bis 25 Meter, teilweise auch aus der Deckung heraus. Wer sich da nicht ordentlich verschanzt, bekommt einen Rüffel. Schließlich kann das im Ernstfall lebensbedrohlich enden. Und bei den Schüssen wird auch auf die Technik geachtet, zum Beispiel ob jemand beim Schießen mit der Hand abknickt.

Bei den LÜHT-Terminen und bei den zusätzlich stattfindenden Trainings geht es letztlich um etwas, das die Polizisten am liebsten vermeiden: den Einsatz von Waffen. „Zum Glück müssen Schusswaffen nur sehr selten eingesetzt werden“, sagt Diane Drawe. Aber wenn es drauf ankommt, dann müssen die Polizisten eben gerüstet sein. Dafür gibt es 70 bis 80 wechselnde Szenarien, die im Schießkeller durchgegangen werden. Und die für den Ernstfall rüsten sollen.