Festspiele Romeo Castellucci inszeniert Mozarts Paradeoper bei den Festspielen in Salzburg

Salzburg · Wumms! Ein Auto knallt donnernd von der Decke auf den Boden der Festspielbühne. Später dann ein Klavier, auf dem Don Giovanni und sein Diener Leporello einige Noten aus der Partitur spielen

Wälzt sich in weißem Gips-Brei: „Don Giovanni“. Davide Luciano in Romeo Castelluccis Inszenierung.

Foto: dpa/Barbara Gindl

. .Auf der ewigen Suche nach immer neuen Frauenerlebnissen.  Ein Chor von 150 Salzburgerinnen begleitet Don Giovanni bis in den Tod. Bei seiner Höllenfahrt wälzt er sich nackt in weißem Gips-Brei. Spektakuläre Bilder, gedehntes Tempo und zahlreiche Aufreger-Effekte dominieren die Premiere von Mozarts Paradeoper „Don Giovanni“ bei den Salzburger Festspielen.

Eigentlich war das Stück schon 2020 zum 100. Jubiläum der Festspiele terminiert worden, doch wegen Corona feierte es erst in diesem Sommer Premiere. Mozarts Oper wurde mit erstklassigen Sängern und einer fulminanten, aber überbordenden Bilderflut von Regisseur Romeo Castellucci aus der Taufe gehoben.Musikalisch wurde das Opus des italienischen Hyper-Ästheten Castellucci (Regisseur, Bühnenbildner und Lichtdesigner) umgesetzt von international gerühmten Sängern, vom Music-Aeterna-Orchester aus dem russischen Perm und seinem Pult-Exzentriker Teodor Currentzis: Der gebürtige Grieche mutierte hier 2017 (bei den Festspielen mit Mozarts „Titus“) über Nacht zum Star-Dirigenten. Zwei Ausnahme-Künstler in ihrem Fach: Sie bescheren dem Publikum –  detailverspielt und mit immensem Personen-Aufwand (der nur in Salzburg möglich ist!) – einen Festspiel-Superlativ: Die über vier Stunden dauernde Inszenierung dürfte der längste „Don Giovanni“ in der Geschichte sein.

Ausverkauft war das künstlerische und gesellschaftliche Event mit üblichem Schleppen-Alarm (auch von Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Kultur) erst vor wenigen Tagen. Dass das Große Opernhaus mit mehr als  2100 Plätzen voll besetzt werden durfte, war lange in der Schwebe. Jetzt sind die Opern-Vorstellungen bis auf Restkarten ausgebucht. Trotz wenig einladender Umstände. Immerhin funktionierten die Kontrollen von Impfpässen oder Test-Zertifikaten, personalisierten Tickets, FFP-2-Masken und Personalausweisen wie am Schnürchen. Österreichisches Tempo, ansteckende Leichtigkeit und Freundlichkeit machen es möglich.

So beginnt der Parforce-Ritt durch Don Giovannis Abenteuer-Reise pünktlich. Das monumentale Einheitsbühnenbild stellt den Innenraum einer Barockkirche dar, die zu Anfang von italienisch parlierenden Arbeitern leergeräumt wird. Selbst das schwere Kreuz schleppen sie raus, denn mit Gott hat dieser Mann wenig im Sinn. Er ist ein Zerstörer, der nicht locker lässt, bis er Donna Elvira in den Wahnsinn treibt, Donna Annas Vater tötet und ihrem Bräutigam Don Ottavio Hörner aufsetzt. Und das Bauernmädchen Zerlina kurz vor der Hochzeit Ehe mit dem treuen Masetto ent- und verführen will. Ganz in Weiß erscheinen er und Leporello, die kaum voneinander zu unterscheiden sind. Ohne Blumenstrauß zwar, aber mit lauter zuckersüßen Worten verdreht er jeder Frau den Kopf, verspricht das Blaue vom Himmel. Und wendet sich, kurz nach der Eroberung, der nächsten zu. Für diesen Mythos des ewigen Wanderers und süchtigen Suchers findet Castellucci immer neue Tableaus, lässt die Gestalten zunächst in einem milchig weißen Kosmos eintauchen, in dem Männer und Frauen nur noch stimmlich zu unterscheiden sind. Die 150 Frauen (choreografiert von Cindy van Acker) bewegen sich wie in Ausstattungs-Filmen à la Hollywood. Mal verfolgen sie ihn im Kreis, dann formen sie ein Dreieck. Später wandeln sie, in pechschwarzen Kutten, wie Todes-Boten, die das Ende des elenden Frauen-Verführers einläuten.

Don Giovanni ist in dieser Deutung kein aufdringlicher Sexprotz, eher ein durchschnittlicher Betrüger, etwas harmlos, aber elegant und geschmeidig. Dazu passt der lyrische Bariton von Davide Luciano, der niemals lospoltert, sondern sich auf das Pianissimo eines Belcanto-Sängers versteht. Die Entdeckung des Abends ist indes Nadezhda Pavlova als Donna Anna. Fast 20 Jahre nach Anna Netrebkos Weltkarrieren-Start hier ebenfalls als Donna Anna, überrascht und begeistert die Russin Pavlova ebenso durch sichere, runde Höhen und durch perfekte Dramatisierung. Verzweiflung, Schmerzen, Sehnen und Flehen – in allen Gefühlsebenen klingt sie authentisch und musikalisch präzise. Und setzt zum Schluss noch eine atemberaubende Leiter von langsam gesungenen Koloraturen drauf.

Auch die anderen Stimmen fügen sich in Farbe und Volumen in das Klangkonzept ein. Die Entdeckung der Langsamkeit und einer leisen, hintergründigen Partitur feiert der Dirigent mit seinem Aeterna-Orchester und Chor, die das Finale (kaum zu glauben in Corona-Zeiten!) gemeinsam im Orchestergraben zelebrieren. Der Jubel am Ende dauert fast 15 Minuten, untermalt von wenigen Buhrufen für den Regisseur.

„Don Giovanni“ ist am 7. August um 22.05 Uhr auf Arte zu sehen.