Ausstellung Ausstellung zeigt das Ausmaß der NSU-Morde

Sprockhövel · Mehmet Daimagüler eröffnete „4074 – Tatorte der NSU-Morde“ mit eindringlichem Vortrag.

Mehmet Daimagüler eröffnete die Ausstellung von Fotografin Gabriele Reckhard mit eindringlichen Worten.

Foto: Bartsch,G. (b13)

. „4074 Tage – Tatorte der NSU-Morde“ heißt die Ausstellung, die am Montagabend im IG Metall Bildungszentrum an der Otto-Brenner-Straße eröffnet wurde. Zahlreiche Besucher waren gekommen, um die eindrucksvollen Fotos von Gabriele Reckhard zu betrachten, die nicht nur die zehn Tatorte porträtiert, sondern in deren Mitte jeweils Texte platziert hatte, die die einseitigen Methoden der Ermittlungsbehörden entlarven.

4074 Tage sind die Zeitspanne zwischen dem ersten Mord an dem türkischen Kleinunternehmer Enver Simsek, dem neun weitere aus rein rassistischen Gründen folgten und denen in Heilbronn auch eine Polizistin zum Opfer fiel, sowie deren Aufdeckung. Die hatte es nur gegeben, nachdem die Mittäter Uwe Mundlos und Uwe Böhmhardt gemeinsam Selbstmord begingen und sich Beate Zschäpe der Polizei gestellt hatte.

Die Ermittlungsmethoden und die Aufarbeitung der Taten durch das Gericht waren auch das beherrschende Thema des Vortrages von Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler, der die Angehörigen der Opfer als Nebenkläger im Prozess gegen Beate Zschäpe vertreten hatte. Ermittlungen, die nur in eine Richtung – nämlich in die der Familie und des Umfeldes der Opfer – führten, in denen die Polizei die Täter vermutete. Was auch durch die Bezeichnung „Döner-Morde“ charakterisiert wird, die fortan durch die Zeitungen geisterte.

Als der Bruder eines griechischen Opfers die Vermutung äußerte, dass „ein durchgeknallter Nazi“ die Taten an den ausländischen Mitbürgern begangen habe, wurde er von den ermittelnden Kriminalbeamten harsch angegangen und mehrere Stunden lang verhört. Schonungslos geißelte Mehmet Daimagüler die Ermittlungen, die einseitig geführt wurden, obwohl es anderslautende Zeugenaussagen gegeben habe, die den Blick der Beamten in die richtige Richtung hätten lenken sollen. „Hinweise wurden ignoriert, weil sie nicht in das Bild passten, das man von den Opfern hatte. Stattdessen wurden die Opfer kriminalisiert“, sagte Daimagüler sichtlich verbittert.

Die permanente einseitige Berichterstattung über die „Türken-Mafia“ und „Vergeltung im Milieu“ habe dazu geführt, dass die Angehörigen der Opfer innerhalb ihres Umfeldes gemieden wurden, wie aus den Texten zwischen den Tatort-Fotos von Gabriele Reckhard hervorgeht. Den Hinterbliebenen wie auch den Opfern wurden so vielfache Bestrafungen zuteil für Taten, an denen sie völlig schuldlos waren. Opfer wurden so zu Tätern gemacht. „Das war institutioneller Rassismus“, klagte der in Deutschland geborene Anwalt, der die Morde, deren Aufdeckung und den Münchener Prozess zum Thema seines Buches „Empörung reicht nicht“ gemacht hat. „Es darf kein Schlussstrich gezogen werden“, so Daimagüler. Er sieht in den Taten des „nationalsozialistischen Untergrundes“ (NSU) eine „Erosion unserer demokratischen Grundwerte“. Außerdem bescheinigt er der Öffentlichkeit und den Behörden eine „negative Lernkurve“.

Hierbei bezog sich der Anwalt nicht nur auf den NSU-Prozess, sondern auch auf den täglichen Umgang mit dem Rechtsextremismus, die „V-Leute“ in der rechten Szene, die er als Kriminelle titulierte, mit denen sich der Staat gemein mache. Als Beispiel hierfür nannte er einen ihm bekannten V-Mann, der, um an seine Honorare zu kommen, selbst rechtsextreme Anschläge beginge, damit er seinem leitenden V-Mann etwas aus der Szene zu berichten hatte. „Verfahren gegen Nazis werden eingestellt und denen das Gefühl der Unverletzbarkeit gegeben“ war eine der weiteren anklagenden Thesen von Mehmet Daimagüler, der auch von „geschredderten Akten“ bei Ermittlungen gegen Neo-Nazis und „rassistischen Vorurteilen der Behörden“ sprach und die Frage stellte: „Haben wir aus den NSU-Morden gelernt?“

In den lang anhaltenden Beifall der Zuhörer im Saal mischte sich Betroffenheit über das Gehörte. Eindringlich appellierte Daimagüler, bei dem Rassismus im Alltag nicht zu schweigen. „Mund aufmachen“, forderte er die Besucher auf und erinnerte daran, dass die Gewerkschaften, wie Gastgeber IG Metall, nicht nur um Tariferhöhungen kämpfen, sondern stets auf der Seite der Schwachen stehen.