Handwerk Wuppertaler Maler-Meister gibt Azubis eine Chance: „Mich interessieren keine Noten“
In der Pandemie muss auch das Handwerk umdenken: Azubi Cheyenne Lenz (17) hat bei Maler Andreas Conrad eine zweite Chance bekommen.
Als die Auszubildende Cheyenne Lenz eines Morgens auf ihren Wecker schaute, wusste sie: Das war’s – schon wieder verschlafen. Die 17-Jährige war im Malerbetrieb von Andreas Conrad bereits negativ aufgefallen. Mehrfach war sie zu spät zur Arbeit gekommen, oft hatte sie sich ausgerechnet nach dem Wochenende krank gemeldet. Aus Angst vor den Konsequenzen machte Cheyenne die Lage noch schlimmer: „Ich war so feige, dass ich gar nicht mehr bei der Arbeit angerufen habe. Erst am Abend bin ich wieder ans Telefon gegangen.“
Der Malermeister machte zunächst ernst, kündigte Cheyenne. Doch zwei ihrer Arbeitskollegen setzten sich für sie ein, bürgten dafür, dass das der letzte Ausrutscher für die Jugendliche sein würde. Conrad lies sich überreden und nahm schließlich die Kündigung zurück. Cheyenne Lenz ist inzwischen ein halbes Jahr nicht mehr zu spät gekommen. Sie sagt: „Das war für mich eine große Motivation. Ich brauchte diesen Tritt in den Hintern.“
Meister Andreas Conrad ist froh, dass seine Auszubildende die Kurve gekriegt hat. Er hat sich darauf spezialisiert, jungen Leuten eine Chance zu geben, die woanders durchs Raster fallen. Conrad sagt: „Mich interessieren keine Noten, mich interessiert nicht, welchen Hintergrund jemand hat.“ Seine Philosophie sei: „Die Leute müssen kommen und sie müssen wollen.“ Der Rest ergebe sich dann von alleine.
Gerade in der Pandemie scheint sich diese Philosophie bezahlt zu machen, denn das Handwerk hat ein großes Nachwuchsproblem, das die Corona-Krise verschärft hat. Conrad: „Den Kindern wird von den Eltern eingebläut, dass sie einen super Abschluss machen und dann studieren müssen.“ Da blieben dann für das Handwerk - auch wegen des demografischen Wandels - immer weniger geeignete Kandidaten über. „Wir haben die jungen Leute über die Schule fürs Handwerk begeistert, haben vor Ort den Beruf erklärt“, sagt der Meister. Doch plötzlich durfte man nicht mehr in die Schulen rein. Virtuelle Ausbildungsbörsen seien kein guter Ersatz gewesen, um den Spaß an handwerklichen Berufen zu transportieren. „Handwerk ist Haptik, man muss etwas machen mit den jungen Leuten.“ Auch Praktika waren zeitweise verboten. Da fand Conrad dann „kreative Wege“, um trotzdem Jugendliche unter der Einhaltung von Hygienestandards für einen Schnupperbesuch in den Betrieb zu holen.
Ist die Begeisterung für das Arbeiten mit den Händen erst mal da, ist eine wichtige Hürde bereits überwunden. Conrad hat mit seinem Prinzip bereits einige junge Leute durch die Lehre gebracht, die etwa schlechte Noten mitbrachten, von der Förderschule kamen oder einfach zwei linke Hände hatten. Doch wer pünktlich zum Dienst antritt und Willen zeigt, der bekomme in dem Vohwinkler Malerbetrieb eine Chance. „Wir haben einen jungen Mann ausgebildet, dem ist bescheinigt worden, dass er überhaupt nicht ausbildungsfähig sei“, sagt Conrad. Doch auch er schaffte es - in vier statt drei Jahren - durch seine Abschlussprüfung. Conrad erinnert: „Wir brauchen nicht nur Häuptlinge, sondern auch Indianer.“
Seit Ende der 1980er-Jahre bildet Conrad auch junge Frauen aus. Auch damit hat er sich einem Bereich des Arbeitsmarkts gewidmet, den viele seiner Kollegen lieber aussparen. Das ist bis heute so, wie Cheyenne bestätigen kann: „Ich habe ein paar Absagen bekommen, bei denen es hieß, dass der Betrieb keine passenden sanitären Anlagen hat, um Frauen auszubilden.“ Conrad kennt die Argumente gegen Frauen im Handwerk: Sie könnten nicht so schwer tragen, seien häufiger krank, würden den Betrieb durcheinanderbringen. Der Maler berichtet allerdings, dass er in der Regel mit den weiblichen Auszubildenden bessere Erfahrungen gemacht hat als mit den männlichen. „Wenn junge Frauen sich für uns entscheiden, dann hat das oft Sinn.“ Die Abbrecherquote sei bei ihnen viel geringer.
Cheyenne hat über einen Bekannten den Tipp bekommen, dass Conrad bei jungen Leuten auf ihre Taten, nicht auf ihren Hintergrund schaut. Die 17-Jährige lebt in einer Wohngruppe, hat einen Hauptschulabschluss. Sie sagt: „Eigentlich will ich mal in einem Tätowier- und Piercingstudio arbeiten.“ Ihr Hobby ist das Zeichnen. Doch da es in Deutschland keine gesetzlich geregelte Lehre gibt, suchte die Jugendliche einen artverwandten Ausbildungsberuf. „Ich will auf jeden Fall etwas Handfestes in der Tasche haben“, sagt Cheyenne. Gerade in der Pandemie habe man gesehen, wie unsicher der Beruf des Tätowierers sein kann.
Im Augenblick hat Andreas Conrad in der Regel drei Auszubildende. Nicht immer steht am Ende der schweren Fälle auch eine Erfolgsgeschichte. Aber wenn, dann sei die Freude umso größer. So wie etwa bei der alleinerziehenden Mutter, die es bei ihm erfolgreich durch die Ausbildung geschafft hat. Conrad sagt: „So etwas ist doch der Hammer.“