Prozess Überfall im Supermarkt: Kassiererin berichtet im Gericht von Todesangst

Wuppertal · Der Täter (30) hatte der 54-Jährigen ein Messer an den Hals gehalten.

Nach dem Überfall war der Täter auf der Westkotter Straße von der Polizei niedergeschossen worden.

Foto: ja/Tim Oelbermann

Den jungen Mann, der eine Kaugummi-Packung kaufte, hat sie kaum beachtet, sich sofort der nächsten Kundin an ihrem Kassenband zugewandt. Und dann wurde die 54-Jährige plötzlich von hinten umgriffen, spürte etwas Kaltes an ihrem Hals. An die schrecklichen Augenblicke vom 8. April dieses Jahres musste sich die 54-Jährige am Mittwoch noch einmal erinnern. Vor dem Landgericht begann der Prozess gegen den Täter.

„Mach die Kasse auf“, habe der Mann immer wieder verlangt, auch gesagt, er wollte ihr nicht wehtun. „Ich habe verzweifelt versucht, eine Codierung in die Kasse einzugeben“, berichtete die Kassiererin als Zeugin. Aber es sei ihr nicht gelungen. „Ich war wie in einem Tunnel.“ Auf Filmaufnahmen, die das Gericht im Gerichtssaal zeigte, war zu sehen, wie ihre Hand über die Tastatur fliegt, wie sie sogar einen weiteren Kunden abwimmelt, der sich einmischen will.

Sie habe ihre linke Hand zwischen ihren Hals und das Kalte geschoben: „Ich dachte, so komme ich mit dem Leben davon, dann trifft er nur meine Hand, nicht den Hals“, erklärte sie. Dabei habe sie gespürt, dass der kalte Gegenstand tatsächlich ein scharfes Messer war. Ob sie Todesangst gehabt habe, fragte der Vorsitzende Richter. „Definitiv“, war ihre Antwort. Der Vorsitzende verlas aus dem Protokoll ihrer Polizei-Vernehmung: „Ich hatte Angst, pure Angst.“

Der Filialleiter wurde auf die Situation aufmerksam, warf von hinten einen Einkaufswagen auf den Täter. Daraufhin ließ der Mann von ihr ab. Sie stürzte davon, in den Laden hinein. Bei den Süßigkeiten seien ihr die Beine weggesackt, erzählte sie. Eine Kundin, die Krankenschwester ist, habe ihr geholfen.

Der Angeklagte räumte die Taten ein. Sein Verteidiger verlas dafür eine Erklärung. Danach sei er psychisch krank, höre Stimmen. Die beschimpften ihn als „Versager“ und „Schisser“. Um diesen Stimmen „etwas zu beweisen“, habe er den Überfall begangen. Er wisse, dass das eine „Scheißidee“ war, hatte er in einem Entschuldigungsbrief an die Kassiererin geschrieben.

Der Angeklagte sagte,
er habe Stimmen gehört

Auslöser war nach seiner Darstellung eine private Stresssituation. Er lebte getrennt von seiner Freundin, die er aber immer noch liebte. Als er erfuhr, dass sie operiert werden musste, habe ihn das sehr belastet, er habe schlecht geschlafen und wieder die Stimmen gehört, weswegen er schon in der Psychiatrie war. Er sei morgens aus dem Haus gegangen, habe sich Bier und Wodka gekauft und im Nordpark die Wodkaflasche halb geleert. Als er dann weiter zum Klingelholl zog und den Supermarkt sah, sei er auf die Idee mit dem Überfall gekommen.

Er sei ohne Plan in das Geschäft gegangen, wisse auch nicht mehr, wann er das Messer aus seinem Rucksack genommen habe. An der Kasse habe er einen Kaugummi aufs Band gelegt. „Warum, weiß ich nicht. Ich hatte Null Plan, wie es weitergeht.“ Auch auf den Filmaufnahmen ist zu sehen, dass er nach dem Bezahlen zögernd hinter der Kassenzone steht. Dann plötzlich wendet er sich zu der Kassiererin. „Ich habe die linke Hand um sie gelegt, mit der rechten Hand das Messer an ihren Hals gehalten.“

Der Angeklagte sagte auch, er habe seiner Meinung nach nicht auf den geworfenen Einkaufswagen reagiert: „Ich glaubte, ich hätte mich noch mal zu der Kassiererin gewandt und gesehen, dass sie die Kasse nicht öffnen kann. Das war der Grund für die Flucht.“

Der Film zeigte das nicht, und auch ein Zeuge (18), der geholfen hatte, die Besucherzahl des Supermarkts zu kontrollieren, erinnerte sich, dass der Einkaufswagen den Angeklagten am Rücken traf. Danach sei der Täter langsam zur Tür gegangen. Die Situation sei „wie im Film“ gewesen: „Es war schrecklich.“

Der Angeklagte war dann auf der Westkotter Straße von der Polizei gestellt worden. Nachdem er nach deren Angaben nicht auf Ansprache und nicht auf einen Warnschuss reagierte, schossen die Beamten ihm ins Bein. Er wurde ins Krankenhaus gebracht, kam später in Untersuchungshaft.

Die Kassiererin ist am nächsten Tag wieder arbeiten gegangen: „Ich wollte nicht, dass ein fremder Mann mein Leben verändert.“ Sie habe die Erlebnisse ganz gut verdrängen können. „Aber mein Körper reagiert“, berichtete sie. Sie sei rheumakrank, habe seit dem Überfall „einen Schub nach dem anderen“ und brauche Cortison. „Stress ist Gift für mich.“ Sie schließe sich jetzt öfter zu Hause ein.

Auch die anstehende Zeugenaussage habe sie belastet: „Alles kommt wieder hoch. Ich will das nicht mehr.“ Das Schreiben des Angeklagten ist bei ihr angekommen, angenommen hat sie die Entschuldigung nicht. Ob er sich jetzt entschuldigen dürfe, fragte der Verteidiger. Sie schüttelte nur heftig den Kopf.

Für den Prozess sind insgesamt drei Verhandlungstage vorgesehen. Das Urteil soll am 6. Oktober fallen.