Wirtschaftsgechichte Als im Wuppertal mit Kapselgeld bezahlt wurde

In Notzeiten wurde das Material für Münzen knapp - also wurden Briefmarken in Zellulloid zum Zahlungsmittel. Firmen aus Elberfeld und Vohwinkel produzierten für ganz Deutschland

Rainer Thiel mit einem Teil seiner Schätzchen. Der Wuppertaler Sammler wurde durch Zufall zum Kapselgeld-Sammler.

Foto: Fischer, Andreas H503840

Notzeiten machen erfinderisch. Als nach dem Ersten Weltkrieg das Material für Münzen knapp wurde, weil es für vermeintlich wichtigere Dinge eingeschmolzen worden war und schlichtweg der Materialwert den Nennwert überschritt, fehlte das Kleingeld im damaligen Deutschen Reich. Eine Lösung: Briefmarken wurden kurzerhand zum Zahlungsmittel erklärt, auch im Wuppertal. Da die gezackten Papierchen aber wenig zum Weiterreichen von Hand zu Hand taugten, wurden sie buchstäblich eingeschlossen - in eine Zelluloidhülle: Das Kapselgeld war geboren.

Wobei anzumerken ist, dass es keine deutsche Erfindung war. Schon im amerikanischen Bürgerkrieg kam das Kapselgeld zum ersten Mal zum Einsatz. Besonders vielfältig und vor allem bunt wurde es dann aber in Deutschland.

Wer heute so eine Kapsel aus den 1920er Jahren, etwas größer als ein altes Fünf-Mark-Stück, zum ersten Mal sieht, wird wahrscheinlich kaum daran denken, dass mit „so etwas“ einst bezahlt werden konnte. Schließlich fällt einem vor allem erstmal die Werbung ins Auge. „Die Produktion dieser Kapseln kostete ja auch Geld“, erzählt Rainer Thiel, Sammler aus Wuppertal. Firmen konnten also auf der einen Seite der Kapsel werben, finanzierten die Herstellung, auf der anderen war die Briefmarke, meist im Wert von 5, 10 oder 15 Pfennig, eingelegt.

Viele Wuppertaler Firmen warben auf den Kapseln

Die Phönix Brauerei ist zum Beispiel auf den Wuppertaler Exemplaren vertreten, Kritzlers Wacholder, Joseph Hebmüller Karosseriebau, die Drogerie Müggenburg oder Stempel Donner. Mit acht verschiedenen Werbeaufdrucken ist die Barmer Ersatzkasse übrigens Spitzenreiter, was die Werbung angeht. 753 verschiedene Motive sind insgesamt aus Deutschland aus jener Zeit bekannt, weiß Thiel.

Zwei Hersteller aus Wuppertal waren zudem maßgeblich bei der Produktion: Zölzer aus Elberfeld und Meise & Möcking aus Vohwinkel. 90 Prozent der Kapseln in Deutschland, so schätzt Thiel, kamen demnach aus dem Wuppertal.

Wie viele insgesamt verwendet wurden, ist unklar. Der Zeitraum war erstmal begrenzt: Mit dem Fortschreiten der Inflation bis zum Höhepunkt 1923 war der Bedarf fürs Kapselgeld schnell dahin. Als ein Brot Milliarden kostete, interessierten Pfennige niemanden mehr. Das Auktionshaus Gärtner, das vor sechs Jahren eine große Sammlung von Kapselgeld versteigerte und dafür auch die Historie des Zahlungsmittels aufarbeitete, schrieb im Katalog von mindestens mehreren hundertausend.

Wie viele Thiel in seiner Sammlung hat, will er nicht genau verraten. Aber: Von den 753 bekannten Motiven deutschlandweit „fehlen mir noch knapp über 100“. Und von den 76 in Elberfeld, Barmen, Ronsdorf und Vohwinkel herausgegebenen nur noch zwei: Die Firmen Karl Busch aus Elberfeld und Ernst Manert aus Vohwinkel. Ob er sie noch mal bekommt?

Die Sammlerschaft sei schon eher überschaubar, sagt Thiel. „Ein kleiner, elitärer Kreis.“ Und das Material sei „auch übersichtlich, aber teuer“, der Markt umkämpft. Dabei, so könnte man meinen, dürften die Kapseln doch Münz-, Notgeld- und Briefmarkensammler gleichermaßen ansprechen. Er selbst sei eher zufällig dazugekommen. Eigentlich sammelt er Postkarten. Seine Wuppertal-Sammlung ist riesig, zum Stadtjubiläum stellte er im vergangenen Jahr einen kleinen Teil im Rathaus aus. Immer wieder kauft er Material an, was er nicht braucht, landet im Keller. „Und da fand ich eines Tages auch so eine Kapsel.“ Die Werbung habe er nicht mal lesen können, weil sie in Sütterlin geschrieben war.

Auf gut Glück stellte er das Stück für einen Euro bei Ebay ein - und verfolgte fasziniert den „Bieterkrieg“, der um die Kapsel entbrannte. Für 100 Euro ging sie schließlich an einen Käufer in die USA. Bei Thiel war allerdings auch der Virus gepflanzt. „Erst habe ich Kapseln nur aus Elberfeld gesammelt, dann Wuppertal, NRW und schließlich ganz Deutschland.“ Er schmunzelt. Bei den Postkarten war es ähnlich - mittlerweile nennt er allein mehr als 20 000 Karten nur mit Wuppertaler Motiven sein Eigen.

Beim Kapselgeld zählt er sich - nicht ohne Stolz - zur Top Ten der Sammler weltweit. Für seltene Stücke nahm er schon mal einen Trip in die USA in Angriff. „Sammler müssen auch ein bisschen verrückt sein“, nimmt er sich selbst auf die Schippe. Und als Gilles Blancon, in Fachkreisen der „Kapselgeld-Papst“ genannt, seine Sammlung auflösen wollte, habe er, erzählt Thiel, den Wuppertaler persönlich zu sich nach Hannover eingeladen. Viele schöne Stücke habe er abgreifen können. Der Rest sei dann zum Auktionshaus Gärtner gegangen.

Über Preise schweigt Thiel lieber. Bei fünf bis zehn Euro gehe es los. Und nach oben? „Es werden Liebhaberpreise gezahlt“, drückt er sich zurückhaltend aus. Ein aktueller Blick auf die erzielten Ergebnisse bei Ebay zeigt: Dreistellige Beträge kommen durchaus vor - pro Stück. Kein Wunder, sind von einigen Ausgaben doch kaum Exemplare bekannt.

Einen Traum hat Thiel. Die Nachfahren der beiden Wuppertaler Kapselproduzenten melden sich bei ihm, weil sie im Keller eine Schatztruhe voller Kapseln gefunden haben. „Am besten mit vielen Unikaten“, lacht Thiel.