Kadim D.: Nach Haft in der Türkei - der beschwerliche Weg zurück in den Alltag

Gut zweieinhalb Monate saß der Wuppertaler in der Türkei fest. Wieder daheim hat er das Geschehene noch nicht verarbeitet.

Foto: JENS GROSSMANN

Wuppertal. Die ersten Schritte zurück in den Alltag fallen Kadim D. schwer. Für den 46-jährigen türkischen Familienvater aus Wuppertal gibt es ein Leben, bevor er am 17. Juli — für ihn völlig überraschend — beim Passieren der türkischen Staatsgrenze festgesetzt wurde, und eines danach. „Mir geht es seelisch nicht gut. Ich befinde mich in psychologischer Behandlung“, sagt er ganz offen, als unsere Zeitung ihn kurz nach seiner Heimkehr am Telefon erreicht. In den ersten Tagen, die er wieder auf deutschem Boden in Wuppertal verbringen durfte, hat er viel Besuch empfangen. Alle wollen ihn einfach nur in die Arme nehmen, sich vergewissern, dass er wieder da ist.

Die Geschehnisse der vergangenen Monate muten für D. noch immer unwirklich an: Mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern war er im Sommer in einen Familienurlaub in sein Heimatdorf Sivas in Mittelanatolien aufgebrochen — die Mädchen, zwölf und 13 Jahre alt, hatten sich schon lange darauf gefreut.

Doch für die Familie geriet die Reise zum Alptraum, als türkische Staatsbeamte sie kurz hinter der Grenze anhielten. Gegen D. liege ein Haftbefehl vor, hieß es. Der Vorwurf: Präsidentenbeleidigung. In dem sozialen Netzwerk Facebook soll sich der Wuppertaler despektierlich über den türkischen Machthaber Erdogan geäußert, ihn konkret als „ehrlosen Dieb“ bezeichnet haben.

D. bestreitet, dass der Post von ihm stammt. „Das ist völlig absurd. Ich hatte 2016 viel Ärger, weil mir mein Handy im Zug gestohlen worden war. Gegen diesen Diebstahl hatte ich auch Strafanzeige gestellt.“ Da er auf seinem Handy noch bei Facebook eingeloggt war, habe der Dieb auf Facebook in seinem Namen den dubiosen Post abgesetzt — mehr noch, er habe „unsittliche Fotos“ an seine Whatsapp-Kontakte gesendet. All dies hatte der Wuppertaler gegenüber den Grenzbeamten und später gegenüber der türkischen Staatsanwaltschaft immer wieder beteuert — vergeblich. Gegen ihn wurde ein Verfahren eröffnet.

„Man hat mir gesagt, dass es bis zu zwei Jahre dauern kann, bis in meiner Sache ein Urteil fällt. Ich war am Boden zerstört“, erinnert er sich. „Die Beamten behaupteten glatt, dass es mir in Deutschland genauso ergehen würde, wenn ich mich in ähnlicher Weise über Angela Merkel äußern würde. Das ist natürlich Unsinn.“ Nach einer Nacht im Gefängnis wurde für D. eine Auslandssperre verhängt, während der Rest seiner Familie die Heimreise nach Deutschland antrat. „Für meine Töchter war die Situation besonders belastend. Sie hatten während dieser Zeit Probleme in der Schule und haben andauernd nach ihrem Papa gefragt.“ Jeden Mittwoch musste er sich bei den Behörden melden und eine Unterschrift leisten.

Seinen Rechtsbeistand musste D. komplett aus eigener Tasche zahlen. „Es war schon schwierig genug, überhaupt jemanden zu finden, der mich vertreten wollte. Viele hatten Angst.“ Während D. sein Dasein in der Türkei fristete, konnte er immerhin bei seiner Mutter in Sivas bleiben. „Meine Mutter ist unglaublich traurig. Das Ganze hat sie sehr mitgenommen.“ Auch dürfte ihr klar sein, dass ihr Sohn sie vorerst nicht mehr in der Türkei besuchen kann, da das Verfahren gegen ihn dort weiterläuft.

Die genauen Umstände seiner Freilassung sind für Kadim D. selbst noch unklar: Der „Verdacht“ wurde kleiner, als den türkischen Behörden tatsächlich die übersetzte Strafanzeige wegen des gestohlenen Handys aus dem Jahr 2016 vorlag — ein „Beweismittel“ (aus rechtsstaatlicher Perspektive wohl völlig redundant), das immerhin seine Version der Geschichte stützte.

Darüber hinaus hat der SPD-Landtagsabgeordnete Josef Neumann seine Beziehungen spielen lassen, um D.’s Freilassung zu beschleunigen. „Ich habe gute diplomatische Kontakte nach Russland und in die Türkei“, sagt der Politiker, der auch Mitglied des Europarates ist. Während der Festsetzung D.’s hielt Neumann Kontakt zu dessen Frau und engagierte sich unermüdlich für die Freilassung des Wuppertalers. D. hat inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt. „Ich weiß jetzt noch mehr als zuvor, dass ich in Deutschland zuhause bin.“ Weil D. vor seiner Festsetzung rein türkischer Staatsbürger war, konnte das Auswärtige Amt ihm nicht helfen.

Aktuell sind noch 59 deutsche Staatsbürger in der Türkei in Haft — elf davon wegen politischer Vorwürfe nach dem Putschversuch.