2. Sinfoniekonzert: Aus der Dunkelheit ins Licht

Unter dem Dirigat von Carl St. Clair spielen die Sinfoniker Werke von Beethoven und Schostakowitsch.

Foto: Andreas Fischer

Wuppertal. Jeder Mensch kennt jenen Zustand der Verzweiflung, Phasen der Dunkelheit. Doch genauso wie Tiefen zu unserem täglichen Leben gehören, so gehört das Emporsteigen aus jenem Abgrund, das sich herausreißen, auch dazu. Kaum eine Zunft kann diesen Prozess der Aufrichtung, der Überwindung von innerer oder auch äußerer Not so seelenergreifend spiegeln wie die der Musiker, im Besonderen der Komponisten.

Geht Musik doch sofort in die Tiefen unserer Empfindungen. Kathartische Werke, die eben jenen Prozess in Musik fassen, paarte das 2. Sinfoniekonzert in der Stadthalle unter dem Dirigat Carl St. Clairs. Der Amerikaner ist in Wuppertal kein Unbekannter und gastierte nun am Pult des Sinfonieorchesters Wuppertal mit zwei wahrhaften sinfonischen Highlights.

Indes war das Programm keine leichte Kost. Wobei die erstere, deutlich leichter zugänglichere, Beethovens 5. Sinfonie, in das kollektive Gedächtnis unserer Kultur fest eingebrannt ist. Dimitri Schostakowitschs 10. Sinfonie e-Moll op. 93 hingegen darf eher nur etwas eingefleischteren Freunden der russisch/sowjetischen Moderne wirklich bekannt sein. Was aber beide Werke gemein haben, ist ihre tiefgründige ästhetische Schönheit, ihr Geheimnis, zugleich ihre Zielrichtung, aus dem Dunklen heraus, durch Kampf und Ringen, oder auch Nachdenken und Nachfühlen in das Lichtere, Hellere zu streben. Aber auch ihr musikalischer Anspruch eint sie, der an Dirigent und Orchester Herausforderungen stellt. Ohnehin gilt bei Beethovens op. 67 sich mit einer, nahezu unüberschaubaren Schaar an Aufführungen und Aufnahmen, die das Bild dieser Sinfonie im Laufe ihrer Aufführungsgeschichte geprägt haben, zu messen.

St. Clair und das Sinfonieorchester entschieden sich für einen unbändigen, wilden und rauhen Beethoven, der zugleich aber auch plastisch geformt erklang. Lediglich das zeitweise alles überstrahlende Blech — ob nun willentlich oder nicht — überdeckte so manche sehnlichst erwartete Beethovensche Phrase. Doch dieser kompromisslos mächtige, drängende Weg zu der Fünften ist durchaus begeisternd. Gerade, wenn man darüber die Feinheiten dieser Musik nicht vergisst. Bei Schostakowitschs 10. gibt es ganz fassbare biografische Hinweise auf den Grund für den bleiernen Dunst, die melancholische Innensicht und das herausbrechen aus ihr. Stalin — unter dem Schostakowitsch sehr gelitten hat, geistert durch die Sinfonie. Ganz explizit soll er im dämonischen 2. Satz musikalisch porträtiert sein. Das hat man selten so kraftvoll erlebt.

Zudem hat Schostakowitsch seine Initialen D-Es-C-H - darüber hinaus auch noch die seiner Muse Elmira - als Gegenpol, als dramatischen Antagonisten zu Stalin in das Werk, das nach dessen Tod 1953 entstand, eingemeißelt. Diese Dualität muss interpretatorisch abgebildet, aufgezeigt, zugleich stimmig herausgearbeitet werden. Wie wunderbar doch genau das gelang! Die brüchige — oft trügerische Leichtigkeit - wie in dem dritten Satz, dem Allegretto, schmeckt metallisch und verstrickt sich, so schnell sie aufkeimte, in dunklen Schatten. Dieser so bitterlich verzerrte Walzer! Wie ein durch die Parteiführung aufgezwungener Schwof - auch hervorragend getroffen.

Überdies wirkte das Orchester bei Schostakowitsch noch enger gefügt, vielleicht mehr bei sich. Deutlich zu spüren an der harmonischeren Balance, an - passend - noch expressiverem Ausdruck. Schließlich werden die Fesseln der Stalin-Ära, am Ende dann doch - auch musikalisch - zerrissen. Vom Dunkeln ins Licht hoch zwei. Dafür gab es zu Recht begeisterten Applaus und stehende Ovationen.