Das wundersame Glück des Schreibens: Karl Otto Mühl wird 90
Am Samstag feiert der Autor Geburtstag. Am Sonntag wird er im Opernhaus geehrt. Im April folgt eine Theater-Premiere in Köln.
Wuppertal. Sein Leben lässt er anhand von Fotos wie auf einer bunten Plakatwand in seinem Büro Revue passieren: Karl Otto Mühl blickt mit 90 Jahren auf ein reiches Leben zurück. Da ist der Kommandant, den er in amerikanischer Kriegsgefangenschaft kennenlernte, da ist das Idol der Jugend Max Schmeling, da sind die Schriftsteller-Freunde Hermann Schulz und Tankred Dorst, die Bühnenbildnerin Hanna Jordan, natürlich seine Ehefrau und die drei Töchter. Er selbst ist im schicken Anzug mit Krawatte als weitgereister Exportkaufmann der Metallwarenfabrik zu sehen, in der er bis zum Rentenalter arbeitete.
Denn Karl Otto Mühl ist der Arbeitswelt treu geblieben, er empfand die Berufstätigkeit als Emanzipation — auch als sein Theaterstück „Rheinpromenade“ den Durchbruch als Schriftsteller begründete. „Die ‚Rheinpromenade‘ habe ich erst mit 50 geschrieben, es war die Zeit einer radikalen Lebenswende.“
Denn mit 47 Jahren hatte Mühl seine 20 Jahre jüngere Frau geheiratet, und für das Theaterstück hatte er sich vorgenommen, es „ganz langsam zu schreiben, nur zehn bis zwölf Zeilen pro Tag“. Am 5. April steht nun beim Kölner Schauspiel die Premiere der Neuinszenierung von Nora Bussenius an. „Danach gab es damals schon einen gewissen Ergebnisdruck“, gesteht Mühl, der es genießt, nun keinem Erfolgsdruck mehr ausgesetzt zu sein. Bewusst wechselte er im Alter zum kleinen Wuppertaler Nordpark-Verlag, obwohl er bei Suhrkamp oder Kiepenheuer & Witsch hätte ankommen können. „Ich hatte nie das Gefühl, eine eindeutige Begabung zu haben, glaubte immer, dass alle es besser können.“
Die größte Furcht hatte Mühl, dass er darauf angewiesen sein müsste, Einfälle zu haben, wie das bei großen Verlagen erwartet werde. „Dass das Schreiben dennoch mein Lebensmittelpunkt geworden ist, ist schon sehr wundersam.“ Obwohl er nie den Erfolg gesucht hat, sprechen die vielen erfolgreichen Theaterstücke, Romane, Hörspiele und Filme eine andere Sprache.
Allein in Wuppertal wurden acht seiner Bühnenwerke uraufgeführt, und die „Rheinpromenade“ fand bei 80 Bühnen begeisterte Aufnahme. Heute bewegen den Autor auch die kleinen Dinge des Alltags. „Mein Leben als Greis“ ist in Arbeit. Wann es erscheint, ist noch ungewiss: „Ich erlebe es und schreibe ja noch täglich daran“, gesteht der Schriftsteller augenzwinkernd.
Über das Leben in Einsamkeit mache er sich viele Gedanken, denn das erlebe er bei vielen Bekannten im Alter. Und über das Sein und Nichtsein philosophiert er gerne: „Der Mensch wird ja nicht als Mensch geboren, sondern erst dazu gemacht — das ist originär. Noch Originärer aber ist, was in der Bibel steht: Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein.“ Wieviel Demut und Weisheit steckt in diesen Aussagen.