Schmuggeln gehörte für viele Küllenhahner einst zum Alltag

Der „Schmuggel-Haupt-mann“ berichtet über die wilden Zeiten der 1920er Jahre, als die Franzosen Zollmauern aufbauten.

Foto: Uwe Schinkel

Küllenhahn. Vor 100 Jahren forderte der 1. Weltkrieg von 1914 bis 1918 Millionen von Kriegstoten. Es folgten Jahre des Aufruhrs, politischer Unruhen und wirtschaftlicher Not. Und nach der Besetzung des Ruhrgebiets durch die Franzosen wurde Cronenberg im Jahr 1923 sogar zur Frontstadt. Am 2. Februar 1923 war Vohwinkel von 16 Offizieren und 325 Mann des französischen Infanterieregiments 171 besetzt worden.

Die turbulenten Zeiten brachten bunte Blüten hervor. So beschrieb der Generalanzeiger unter der Überschrift „Beim Schmuggler-Hauptmann“, wie sich die Bewohner der Südhöhen damals mit Schmuggelei über Wasser hielten. Hier ein Auszug aus einem Bericht, der nach der Besatzungszeit veröffentlicht wurde.

„Schmuggler-Hauptmann — so nennt er sich heute noch. Und mit Recht ist er stolz auf den romantischen Beinamen, den er sich bei den abenteuerlichen Erlebnissen in den verschwiegenen Waldschluchten des Burgholzes erwarb. So manches Schnippchen hat er den Feldwachen der Schangels (Spottname für die französischen Besetzer, die Redaktion) geschlagen, wenn er an der Spitze seiner ihm treu ergebenen Kolonne durch das verfilzte Tannendickicht des Burggrabenkopfes zentnerweise Waren aller Art durch die Absperrungen schmuggelte. Monatelang ging das so, in dunkler Nacht und auch am helllichten Tage. Oft spritzten links und rechts die Kugeln in die dicken Stämme, schlugen Splitter ab, die um die Ohren sausten.“

Oben auf dem halben Berg hatte der Hauptmann seine Gaststätte, da wo sich der Blick nach Westen hin weitet. Als Typ Lehrer mit Brille wird er beschrieben. Mit seinen 28 Getreuen bildete er nicht die einzige Kolonne, die das besetzte Gebiet von Elberfeld mit Waren versorgte. Fast die ganze Einwohnerschaft von Küllenhahn und Cronenfeld beteiligte sich daran. Stellenweise stellten sogar die Betriebe ihre Arbeit ein, und die Arbeiter zogen los, weil sich diese Art Verdienst besser lohnte. Als Schmuggler haben sich die Küllenhahner und Cronenfelder damals übrigens nicht gesehen. Zwar verdienten sie ordentlich mit, aber schließlich leisteten sie Widerstand gegen die Zollmauern, die von den Franzosen errichtet worden waren.

Der Umfang der Waren war beachtlich. So schildert der Schmuggel-Hauptmann, dass die Waggons im Küllenhahner Bahnhof ausgeladen wurden und es dann quer durchs Burgholz ging — „links vom Burggraben herunter zur Teufelsbrücke, am Lechnmichskotten vorbei oder ins Siepen. 28 Mann mit drei bis vier Meter Abstand. Sie können sich denken, was es heißt: in der Nacht durch den Wald. Und wenn der Franzmann Lunte gerochen hat, dann ging es wieder zurück. Bergauf, bergab“.

Ab und zu gingen die Jäger als Sieger aus diesem Katz-und-Maus-Spiel hervor. „Wir kamen meist glimpflich davon. Hin und wieder wurde zwar einer mächtig verdroschen, aber meist nahm man uns nur die Ware ab. Später, als uns die Teufelsbrücke zu gefährlich wurde, haben wir uns oberhalb von Buchenhofen ein Floß gebaut. Viermal sind wir in der Nacht über die Wupper gegondelt“, berichtete der Schmuggel-Hauptmann.

Bis zu 60 Goldmark pro Tag und Nacht konnten die Mitglieder einer Schmuggler-Kolonne verdienen. Doch die Inflation fraß den Verdienst wieder auf. „Geblieben ist uns nicht viel“, verrät der Cronenberger Schmuggel-Hauptmann am Ende seines Augenzeugenberichts.

Kein Wunder, im August 1923 kostete eine Nummer des Generalanzeigers 25 000 Mark. Und in Cronenberg kamen am 20. Oktober 1923 Geldscheine im Wert von 1, 2, 5 und 10 Milliarden Mark in Umlauf, die kurzerhand auf der Schreibmaschine geschrieben und mit Stadtstempeln versehen worden waren. Bei einem solchen Verfall lohnte sich der Schmuggel unter Einsatz von Leib und Leben wahrlich nicht mehr.