100 Jahre Armbanduhr
Mit dem Ersten Weltkrieg wurden mechanische Zeitmesser am Handgelenk auch bei Männern populär. Seither haben Hersteller die Armbanduhr immer wieder neu erfunden. Doch droht ihr angesichts von Smartphone und Smartwatch ein Bedeutungsverlust?
Vor dem Ersten Weltkrieg galten Armbanduhren als Schmuckstück für die Frau, Männer trugen Taschenuhren. Doch an der Front erwiesen sich die Zeitmesser am Handgelenk für die Soldaten als praktisch. „Armbanduhren hatten den Vorteil, dass die Soldaten zur Koordinierung der Angriffe nicht erst die Uniformjacke aufknöpfen mussten, um auf die Uhr zu schauen“, sagt Historiker Johannes Graf, stellvertretender Direktor des Deutschen Uhrenmuseums in Furtwangen im Schwarzwald. Das richtige Timing sei entscheidend gewesen.
Früh stellten sich die Uhrmacher auf militärische Erfordernisse ein, wie der Münchner Uhrensammler und Autor Gisbert Brunner erläutert. So gab es Schutzgitter gegen Glasbruch, Radium-Zifferblätter, die im Dunkeln leuchteten, sowie Uhren, die mit Hilfe von Mündungsfeuer und Zündungsknall die Entfernung der gegnerischen Truppen messen konnten. Nach dem 1918 beendeten Krieg trat der moderne Zeitmesser seinen Siegeszug an — und ist rund 100 Jahre später Alltagsgegenstand. Doch mit der rasant fortschreitenden technischen Entwicklung verändert sich auch die klassische Armbanduhr — und könnte verschwinden.
„Die Armbanduhr war moderner, praktischer und auch nicht mehr teurer als die Taschenuhr, die sich zwischen den Weltkriegen verflüchtigte“, sagt Graf rückblickend. Im Archiv seines Museums befinden sich zahlreiche Fotografien von jungen Offizieren, die stolz ihre Uhr am Handgelenk tragen. Der erste industrialisierte Krieg, der Millionen Opfer forderte, beförderte neben der Armbanduhr auch andere zivile Erfindungen wie zum Beispiel den Teebeutel oder den Reißverschluss. Allerdings schimpften und spotteten selbst 1925 manche noch über die tickenden Dinger fürs Handgelenk, berichtet Experte Brunner. So habe der Berliner Uhrmacher Bruno Hillmann Herrenwesten für Damen herbeigesehnt, damit „endlich die Erlösungsstunde von der Tyrannei der Armbanduhr“ schlage und die Frauen auch Taschenuhren tragen.
Die Blüte der Armbanduhr begann nach Experteneinschätzung 1930 und hielt sich das ganze 20. Jahrhundert. „Sie ist mit der Mode gegangen und folgte dem Zeitgeschmack“, sagt Historiker Graf. „Sie war immer nicht nur Zeitmesser, sondern auch Statussymbol und Modeaccessoire.“ Schon in der Zwischenkriegszeit wurde sie zum klassischen Geschenk zur Konfirmation oder Firmung. Die Bandbreite war von Beginn an groß, was den Preis, das Design und die Technik anging. „Schon in den 20-er Jahren gab es digitale Zeitanzeigen“, berichtet Graf. In den 1950-er Jahren kam die batteriebetriebene Armbanduhr auf den Markt, um 1970 die erste Quarzuhr. „Es wurden nie so viele Uhren produziert wie in den vergangenen 30 Jahren“, sagt der Vize-Chef des Deutschen Uhrenmuseums. „Es gab den Trend zur Zehnt-Uhr, oder sogar zur zwanzigsten Uhr, einfach weil sie so günstig waren. Das hat sich inzwischen abgenutzt.“ Mit dem Durchbruch des Smartphones begann nach Grafs Einschätzung so etwas wie der Niedergang der herkömmlichen Armbanduhr. „Sie wird mehr und mehr als Gegenstand aus unserem Alltag verschwinden“, glaubt er. Zwar erlebten Schweizer Luxusuhren in den vergangenen Jahrzehnten einen Boom als Statussymbole, jedoch scheint dieser eingedämmt. Die weltgrößte Uhrenmesse Baselworld wird ihre Ausstellungsfläche im März 2018 erstmals deutlich verkleinern, zahlreiche Hersteller haben ihr Kommen abgesagt. „Viele kaufkräftige Kunden, die sich früher über ihre Luxusuhr definiert haben, tragen heute eine Smartwatch, weil sie als moderner gilt“, meint Graf. Die Mini-Computer holen Apps des Smartphones ans Handgelenk und sammeln zum Beispiel Fitnessdaten.
Nach seiner Beobachtung löst sich die emotionale Bindung der Menschen zu Uhren auf. „Wir merken das auch an den Besucherzahlen“, berichtet der Vize-Chef des Uhrenmuseums in Furtwangen. In den Jahren 1992 bis 1995 kamen zwischen 120 000 und 140 000 Besucher jährlich, heute sind es noch 40 000 bis 50 000. Der Handelsverband Juweliere sieht dagegen nicht schwarz. Der Umsatz mit Uhren verlaufe 2017 stabil und habe bis September nur 0,3 Prozent unter dem Vorjahreswert gelegen, sagt Geschäftsführer Joachim Dünkelmann. „Zur Zeitanzeige braucht keiner mehr eine Armbanduhr“, räumt der Verbandschef ein. Allerdings werden dem Verband zufolge jährlich immer noch etwa 3,7 Millionen Armbanduhren bundesweit verkauft, davon 45 Prozent an Männer, 44 Prozent an Frauen, der Rest sind Unisex- oder Kinderuhren. Dünkelmann sagt: „Viele Juweliere bieten Smartwatches an, das ist ein zusätzliches Geschäft.“