Achnes Kasulke: Als Frau bin ich ’ne Ausnahme
Im Karneval gibt Annette Esser die Putzfrau Achnes Kasulke – eine Rolle, mit der die 38-Jährige vom Niederrhein im von Männern dominierten Frohsinn zu überzeugen weiß.
Nettetal. Modern sieht anders aus: In eine grässlich grellbunte Bluse gehüllt, darüber ein alberner altmodischer Kittel, Kopftuch und künstliche Haare zu einem komischen Kuddelmuddel aufgetürmt, stützt sich Achnes Kasulke auf ihren Wischmopp und grinst: "Also wissense, ich bin die letzte deutschsprachige Putzfrau vor der Autobahn!" Tausend Leute lachen, jubeln, klatschen, selbst der Ministerpräsident ruft: "Zugabe!"
Wieder einmal hat Achnes das Publikum begeistert, sie ist der weibliche Star nicht nur im Kölner Karneval und in närrischen Fernsehsendungen. Ihre Karriere ist beispiellos, war sie doch vor drei Jahren noch das unbekannte Mädchen vom Lande: Annette Esser, wie sie mit bürgerlichem Namen heißt.
"Ich bin ein Exot als weibliche Rednerin im Karneval, als Frau ist man da echt ’ne Ausnahme", sagt die Kasulke, pardon: die Esser. Die anderen Stars in der närrischen Szene, sie sind allesamt männlich, ob Gruppen wie die Höhner oder Solisten wie Bernd Stelter.
"Aber sie sind nett und kollegial, wir kommen gut miteinander aus, hinter der Bühne und bei Fernsehsendungen", weiß Esser zu berichten. Und sie gibt zu: Ja, sie gefalle sich in der Rolle als einzige Frau in einer Zunft, in der selbst die Jungfrau im Kölner Dreigestirn ein Mann ist.
Ein Exot ist sie nicht nur als Frau. Auch als Niederrheinerin in der rheinischen Metropole Köln und nicht zuletzt, weil sie zwar eine feste Größe in der Beletage der Narren ist, aber noch immer bei den kleinen Karnevalssitzungen in ihrer ländlichen Heimat auftritt. Warum? "Ich bleibe meiner Heimat treu, man sollte nie vergessen, wo man herkommt!"
Sie kommt aus Kaldenkirchen, einem Ortsteil von Nettetal nahe Mönchengladbach. Hier mischte sie von klein auf im Kolpingkarneval mit, erfand dabei "irgendwann irgendwie die Rolle als Kasulke", mit der sie heute in den Hochburgen der organisierten Fröhlichkeit überzeugt.
Vor den Erfolg haben die Karnevalsjuroren gar gründliche Prüfungen gesetzt - nur die Besten dürfen auf den Bühnen der großen Sitzungen und im Fernsehen die rheinische Narretei präsentieren: "Deutschland sucht den Superstar ist nichts dagegen, alles viel strenger, gründlicher", erzählt Annette Esser.
2006 durchlief sie erfolgreich alle Casting-Veranstaltungen in Köln, beeindruckte die gestrenge Elite der Herrenriegen und des Fachpublikums. "Der Rest ist Geschichte", schmunzelt Annette. Als Achnes ist sie seitdem ständig ausgebucht - Anfragen liegen sogar schon für 2011 vor.
"Und so kann ich die Vorurteile widerlegen, eine Frau habe bei den Jecken keine Chance", witzelt sie. Die Chance zu nutzen, bedeutet Arbeit, viel Arbeit. Über 100 Veranstaltungen in der Session, darunter alle großen Kölner Sitzungen, allein vier Fernsehauftritte in einem Monat, live im Radio beim Kölner Rosenmontagszug - überall ist Achnes Kasulke dabei.
Längst nicht nur als einfache Putzfrau, Achnes hat sich selbst befördert - zur "Feinstaubsonderbeauftragten", die auf der Bühne den Staub wegwischt, den sie selbst aufgewirbelt hat. Und sie wirbelt wirklich, huscht hin und her, sucht zwischendurch Halt bei ihrem Mopp, fixiert ihr Publikum und sagt: "Also, wissense..."
Also, wissen sollte man, dass die Figur Kasulke aus Bochum-Wattenscheid stammt - weshalb sie im Rheinland mit ihrem Mann Erwin und den fünf Kindern "die Zugezogene" sei. Und damit karikiert Annette Esser eine Wesensart nicht nur der niederrheinischen Ureinwohner, für die jeder, der nicht dort geboren ist, zeitlebens ein Zugezogener bleibt.
Auch sonst karikiert die Karnevalistin viel, die pubertären Auswüchse der Kinder, die eigenen Unzulänglichkeiten und vor allem: die Begriffsstutzigkeit des Mannes. Übt da vielleicht die Frau Kasulke ein bisschen Rache an der Männerdominanz im Karneval? "Absolut nein! Ich hacke auf niemandem rum, auch nicht auf Männern, ich nehm sie nur auf die Schippe, aber so, wie ich das tu, stelle ich mich ja auch als Frau ein bisschen bloß, weil ich die männlichen Marotten viel zu ernst nehme."
Spielt die Esser nur die Kasulke - oder haben sie was gemeinsam? Auf den ersten Blick kaum. Gekleidet ist Annette modisch-leger. Rotes T-Shirt, beige Kapuzenweste, Jeans. Kein Schmuck, die dunkelblonden Haare locker gescheitelt, eine widerspenstige Strähne baumelt vor den großen braunen Augen.
Und doch steckt ein bisschen Achnes auch in Annette: "Klar", lacht sie, "mir passieren ja auch schon mal Sachen, etwa im Haushalt. Ich bin, sagen wir mal, grobmotorisch nicht gerade geschickt." Dann grinst sie erst, zappelt auf ihrem Stuhl, lacht schließlich und meint: "Außerdem bin ich von Natur aus lustig!"
So spontan lustig sie wirken mag, so nachdenklich kann die Esser auch sein. Familie ist so ein Thema, bei dem sie still wird. "Ach, Familie ist das Wichtigste überhaupt", sagt sie. Und dabei ist kein Grinsen auf ihrem Gesicht, zappelt sie nicht auf ihrem Stuhl. "Meinen Eltern zum Beispiel bin ich so dankbar für so vieles, ich weiß nicht, wie ich ihnen das zurückgeben kann."
Dabei will sie den Menschen immerzu "etwas geben, etwas schenken". Das meint sie ernst: "Wenn ich meinen Zuschauern in schweren Zeiten, von wegen Finanzkrise und so, ein bisschen Spaß bereiten kann, das ist doch gigantisch, oder?"
Ein gigantisches Erlebnis war für sie kürzlich ein Auftritt in Recklinghausen - in Westfalen also! - vor rund 1300 Senioren: "Das war wunderbar, alte Menschen sind, so weit sie können, sehr aufmerksam bei der Sache. Und ich war gerührt, als ich sah, wie Pfleger manchmal einigen Senioren die Tränen abwischen mussten, Tränen vor Lachen!"
Gigantisch fand sie auch, dass bei ihrem Auftritt in Düsseldorf NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers als erster aufsprang und "Zugabe!" rief. Annette Esser: "Da war ich schon ein bisschen stolz." Ansonsten nämlich, stichelt sie ein bisschen, komme in Gesellschaft, Kirche und Politik der Humor viel zu kurz: "Aber dafür ist ja der Karneval gut, dass alle mal abschalten können, Spaß haben."
Und dazu trägt sie gerne bei, schlüpft abends in ihre Kasulke-Klamotten, stützt sich auf ihren Wischmopp und grinst: "Also, wissense..."